Der Weg - Lasset die Spiele beginnen

Band 2 Generationen in der Zukunft 

YessiHead

Mögen die Spiele beginnen

Lassen Sie sich auf dem Weg zu den Spielen auf eine wundersame Reise mitnehmen.
Begleiten Sie Ramona, Ben, Bruce, Ina, Omar und Keiko auf einige ihrer wichtigen Lebensstationen, bis sie sich bei den Olympischen Spielen treffen.
Der Zeitstrahl zeigt in welchem Monat sich die Personen befinden. Die Geschichten spielen sich in der Zukunft in einem Zeitraum von 10 Jahren ab. Die Überschriften zeigen, in welchem Monat und Jahr des Buches die Hauptpersonen agieren.
Begriffe und Zusammenhänge können auf den letzten Seiten nachgelesen werden.
Ich wünsche Ihnen und euch unterhaltsame Stunden
Yessi Anyone

Hauptpersonen:

Ben lebt mit Mutter, Stiefvater Jo und den beiden Halbschwestern Nellie und Kate in Amerika
Seine besten Freunde sind Ken, Timothy und Carol.
Bruce kommt aus Australien. Er arbeitet auf See und besucht seinen Vater und die Geschwister regelmäßig.
Sein Kollege und Freund Brain ist auf dem Schiff seine Familie.
Ina stammt aus Italien, wo ihre Eltern und Geschwister leben. Sie ist alleine auf großer Tour.
Keiko lebt mit ihrem Mann Takumi und den Kindern Daiki und Natsuki in Japan.
Omar lebt in Saudi-Arabien mit seiner Frau Zahrah. Seine Tochter Anbar ist verheiratet und hat einen Sohn Murad. Seine jüngere Tochter heißt Hadia.
Ramona lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Hendrik in Deutschland.

Klappentext

Auf den Weg zu den Olympischen Spielen machen sich sechs Personen. Der Weg beschreibt das Leben dieser Menschen über alle wichtigen Stationen, bis sie als Zuschauer, Athleten oder durch "Zufall" die Olympischen Spiele erleben.
Der Weg zeigt auch den Weg einer Gesellschaft, die sich über Jahrzehnte entwickelt hat. Die einst von Wachstum abhängige Gesellschaft ist eine Weltgemeinschaft geworden.
Anhand von Lebenserfahrungen, besonderen Ereignissen, fließen diese auch in das neue Leben ein. Denn die eigene Gesellschaft wird erst aus den geschichtlichen Ereignissen verstanden.
Der Weg - ein Roman.
Lasset die Spiele beginnen.
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Nach dem Tag des Handelns gab es nur noch die eine Erde für die wir gemeinsam zuständig waren.“ Susumo

Ramona - Juli im 10. Jahr

Mögen die Spiele beginnen
Ramona stand mit den andern Jahrgangssprechern in der ersten Reihe. Ein Sprecher nach dem andern wiederholte den Satz in seiner Muttersprache. Jeder Einzelne wiederholte den Satz mit all denen, die diese Sprache kannten. Überall auf der Welt standen die Menschen an den MyKs (My Kommunicator) oder auch an den Übertragungsorten. Überall herrschte Freude. Und es sollte die nächsten drei Wochen auch so bleiben.
Ramona lächelte zu ihren Eltern, sie schaute zu den Sportlern und erkannte Ben. Im Bereich für besondere Gäste standen auch Bruce und Omar und rechts im Stadion erkannte sie Ina und auch Keiko mit ihrer Schwägerin.
Ja, seid ihrer Ernennung zur Jahrgangssprecherin hatte Ramona viel erlebt.

 

Omar - Februar im 1. Jahr

Omar schaute in die Ferne. Schon seit Generationen lebte er mit seiner Familie in der Oase. In den letzten Jahren war die Oase gewachsen. Die Bemühungen um die Baumpflanzungen zeigte Erfolg. Mit jeder Palme entstand ein immer größerer Lebensraum. Die Wüste wurde lebenswerter. Vor vierzig Jahren sah es noch anders aus. Alleine in den letzten zehn Jahren, seit der Geburt seines Enkels, hatte sich viel verändert. Er erinnerte sich an die Geburt.
‚Als seine Tochter Anbar entband waren seine Frau Zahra und seine zweite Tochter mit im Heilungszelt. Große Unruhe verbreitete sich im Zelt. Seine Tochter Hadia war aufgeregt zu ihm gelaufen. „Wir bringen den Kleinen sofort zum Gesundheitshaus. Anbar wird auch mitgehen und Mama auch. Dem Kleinen fehlt ein Fuß! Papa, da fehlt einfach ein Fuß!“ Er hatte Hadia in die Arme genommen. Omar hatte es nicht wirklich verstanden. Es war unbegreiflich - er hatte einen Enkel und der hatte nur einen Fuß. „Hadia wie kann so etwas passieren? Hat der Gesundheitshelfer irgendetwas dazu gesagt? Wie geht es Anbar und ihrem Mann und wie geht es Mama?“ Hadia hatte geweint. Er war mit ihr in Richtung Zelt gegangen. Das Baby hatte auf einer Decke gelegen und mit den Beinen gestrampelt. Ja, da war nur ein Fuß! Der andere fehlte einfach.
Ihm wurde wieder einmal bewusst, wie er damals seinen Gedanken, ob der Kleine jemals laufen könne, ob er hier in der Oase leben könnte und vielem mehr, mit einem ganz klaren ‚Stopp‘ im Kopf Einhalt gebot. Der Junge wirkte ansonsten völlig gesund. Er hatte ihn angestrahlt und angesprochen. „Hallo kleiner Mann!“ Er stupste ihn ganz leicht mit dem Finger am Bauch. Irgendwie schien es ihm zu gefallen. Er hatte nochmals leicht an den Bauch gestupst und ihm war damals klar „Er war ein kleiner Sonnenschein.“ Hadia hatte sich in seinem Arm beruhigt und ihn und den Kleinen beobachtet. Seine Frau und sein Schwiegersohn waren zu ihnen gekommen. Alle beobachteten uns beide. Und auf einmal war Ruhe. Anbar lag in ihrem Bett und hatte halb verzweifelt „Was ist? Ist mit meinem Kind was passiert? Warum seid ihr alle auf einmal so ruhig?“ gerufen. Da hatte Omar seinen Enkel behutsam auf den Arm genommen brachte ihn zu seiner Tochter mit den für seine Familie wichtigen Worten. „Er ist ein kleiner Schatz. und ist völlig OK. Und das mit dem Fuß, werden wir hinbekommen, doch er ist ansonsten gesund. Er hat mein Herz auf jeden Fall im Sturm erobert.“ beruhigt.‘
Der Kleine war ein echter Schatz. Mit seinem Ersatzfuß war er ebenso unterwegs wie die anderen Gleichaltrigen. Und er war immer noch der stolze Opa. Sie waren wie füreinander geschaffen. Murad, der Name bedeutet „erwünscht“. Und Murad war erwünscht und genau so war er aufgewachsen.
Murad kam hinter dem Zelt hervor. Seine Freunde rannten hinter ihm her. Er war wirklich schnell.

 

Ramona – September im 1. Jahr

Die zehnjährige Ramona war mit ihrer Familie zu Verwandten unterwegs. Das Wetter war herrlich und so ließen sie sich viel Zeit. Am Waldrand saßen junge Menschen. Ramona horchte genau hin und konnte jedoch nichts verstehen. Sie schaute zu ihren Eltern. Die lächelten und gingen auf die Menschen zu. Sie sprachen miteinander und die Menschen schienen entzückt. Ramona verstand immer noch wenig. Ein paar Worte kamen ihr bekannt vor. Ramonas Mutter drehte sich zu ihr um. „Ramona, diese Menschen sind aus Portugal. Sie sprechen portugiesisch.“ „Kann ich das auch noch lernen?“ Ramona war begeistert von Sprachen und bei jeder Begegnung mit Menschen aus fernen Ländern freute sie sich über diese anderen Klänge der Sprache.
Die jungen Leute wollten etwas von der Welt sehen und waren vor einigen Monaten aus ihrer Heimat aufgebrochen, um überall zu helfen und zu lernen. Ramonas Mutter sagte, dass im Nachbarort fleißige Hände gebraucht würden und dass dort auch eine gute Unterkunft sei.

Ina –Oktober im 1. Jahr

Ina stand am Ufer und betrachtete die ein und ausfahrenden Schiffe. In den letzten Jahren hatte sie die ganze Welt bereist. Überall gab es Neues zu entdecken. Sie war fasziniert von den ganz unterschiedlichen Lebensweisen, die sich auf gewisse Weise irgendwie doch ähnelten.
Sie war zufrieden. Neben vielen Menschen und Sprachen hatte sie die Fülle an Lebensmitteln und verschiedenen Speisen kennengelernt. Sie war seit zwei Wochen in Argentinien. Die herrschende Hitze machte sie müde. Doch das würde vorübergehen, wenn sie sich nach zwei oder drei Monaten daran gewöhnt hätte. Ihre Mutter sagte immer ‚Gehe doch langsam von einem Klima ins Nächste. Immer diese ständigen Wechsel von kalt und heiß sind nicht gesund!‘ Ja, ihre Mutter machte sich immer noch Sorgen, obwohl sie inzwischen 33 Jahre war. Zuletzt hatte sie ein halbes Jahr in Alaska gelebt. Der Unterschied war groß – doch das war ja so besonders.
„Möchten Sie etwas zum Trinken?“ Ina zuckte zusammen. Ein schlaksiger Junge stand vor ihr, irgendwie zwischen 12 und 15 Jahren. Er schaute sie gebannt an. „Danke“ sie sortierte ihre Gedanken. „Etwas zu trinken wäre sicherlich gut. Wo ist denn die nächste Trinkquelle?“ „Kommen Sie doch einfach mit, meine Tante wohnt dort!“ Er zeigte ein Haus, das um die 200 Meter entfernt stand. „Wie heißt du?“ „Justin und meine Tante heißt Cosima. Ich wohne bei ihr bis meine Eltern von der Reise zurück sind. Also noch so drei Monate. Es ist toll bei ihr! Immer ist etwas los. Wenn Sie mit den Kindern unterwegs ist, dann gehe ich oft mit. Bei ihr lerne ich mehr von der Natur als im Unterricht obwohl wir eine echt tolle Lehrerin haben. Tante Cosima ist aber einfach spitze, die macht alles noch viel spannender.“ Er ging mit einem lauten „Hallo, ich habe wen mitgebracht!“ ins Haus. „Wen hast du denn dieses Mal getroffen?“ Justin stürmte schon zum Wasserhahn. „Kommen Sie ruhig näher. Wie ich sehe hat Justin mal wieder einen durstigen Menschen gesehen. Darauf hat er sich wirklich spezialisiert.“ „Du findest es auch besser, als wenn die Leute umkippen, bloß weil sie die Hitze hier falsch einschätzen!“ er reichte Ina ein gefülltes Glas und sie leerte es dankbar in einem Zug. Kaum hatte sie das Glas abgesetzt hatte Justin es schon wieder gefüllt. „Danke, du bist wirklich sehr aufmerksam. Willst du Menschenbetreuer werden?“ Ina lächelte ihn an. „Ja, oder Gastgeber. Das weiß ich noch nicht so genau.“ „Du, Tante Cosima, ich gehe dann wieder raus. Bis später“ und schon war er Richtung Ufer verschwunden.
„Er ist ein echter Schatz. Mein Leben war, bevor er hier für ein paar Monate eingezogen ist, viel ruhiger. Jetzt weiß ich erst wie schön es ist, wenn noch ein Mensch im Haus ist.“ Sie lächelte Ina an. „Sie scheinen von weiter weg zu sein. Auf jeden Fall habe ich Sie hier noch nie gesehen!“ „Danke für Ihre Gastfreundschaft. Ja ich komme von weit her. Zuletzt war ich in Alaska, meine Heimat ist aber Italien.“ „Alaska, brrrrr. War es da nicht extrem kalt?“ Cosima schüttelte sich, als ob sie frieren würde. „Kalt war es – aber in den Schneeanzügen war es warm. Ich liebe Wetterextreme.“ Ina lehnte sich zurück. Es war sehr gemütlich hier. Bisher hatte sie nur die Gemeinschafts- und Gästeräume gesehen. „Sie haben es hier schön, urgemütlich.“ sagte sie „Ich würde mich an Stelle Ihres Neffen auch wohl fühlen.“ „Wo sind Sie untergekommen,“ erwiderte Cosima „ denn wir haben noch zwei Zimmer frei, das Haus ist für uns beide sowieso zu groß und Justin scheint Sie zu mögen. Sonst ist er immer hier geblieben, bis seine mitgebrachten Durstigen wieder weitermussten.“ Cosima nickte bewusst. „Mein großer Bruder, Justins Vater, erzählt schon seit Jahren, wie begeistert er durstige Menschen anspricht. - Er macht es mit Begeisterung, seit er vier Jahre ist. – Immer bleibt er dabei, nur wenn er Menschen wirklich gerne hat, dann ist er ganz schnell wieder unterwegs. Er weiß auch nicht, warum er es so macht – aber es wären immer besondere Menschen, wenn er sich so verhalten würde.“ „Ich fühle mich gut dabei, zu diesen Menschen gezählt zu werden.“ Ina lächelte.
Seit zwei Wochen wohnte Ina nun bei Cosima und Justin. Schnell hatten sie ein ganz besonders gutes Verhältnis aufgebaut. Cosima war eine tolle Frau und wenn sie mit den Kindern nach Beobachtungen in der Gemeinschaftsküche auftauchte, ging jedes Mal die Sonne für Ina auf.

Keiko – Mai im 2. Jahr

Keiko kam vom Einholen zurück. Sie war in diesem Monat zuständig. All die Dinge, die nur punktuell gefragt waren. In zwei Wochen war der Tag des Handelns. Sie freute sich darauf. Im Betrieb waren schon alle Fahnen und Dekorationsgegenstände auf Vordermann gebracht worden. Die Zahl der Freiwilligen war, wie auch schon in den letzten Jahren, groß gewesen. Nach dem Tag des Handelns würden sich die an einer Anleitung Interessierten vorstellen. Gut, das hatte noch drei Wochen Zeit. Jetzt wollte sie erst mal alles aus dem Mobil in das Lager bringen. Es gab es vier Sorten Schokolade - die Kakaobohnenernte war in diesem Jahr besonders groß ausgefallen.
Im Betrieb herrschte ein buntes Chaos. „Von Yamato haben wir die Fahnen noch erhalten.“ Ihr Mann strahlte sie an. In diesem Jahr machten aber auch alle ein großes Fest. Es war der 50. Tag des Handelns. Ein ganz besonderer Tag, überall spürte sie die Freude und Aufregung.
Sie kümmerte sich um ihre kleine Tochter und auch Daiki kam aus dem Spielzimmer. Sie strahlte ihren Großen an. Zwei Jahre war er schon. Er fing sofort an die fünf Monate alte Natsuki zu kitzeln. Natsuki gluckste glücklich.
Die nächsten Monate wartete viel Arbeit auf Keiko. Sie zog mit ihrer Familie in die Wohnung ihrer Eltern, diese zogen zwei Straßen weiter in eine kleine Erdgeschoßwohnung. Keikos Wohnung wurde von den Bewohnern dieser kleinen Wohnung übernommen. So hatten alle die passende Wohnung. Keiko freute sich auf die größere Wohnung. Seit Natsuki da war, passte alles nicht mehr so richtig.
Das Einräumen in den Gemeinschaftsvorrat war schnell erledigt. Alle wollten sehen, was es in diesem Monat besonderes gab.

Keiko – Oktober im 2. Jahr

Es hatte alles gut geklappt. Keiko freute sich und dekorierte ihre neue Wohnung.
Vor zwei Wochen hatten sie alles gepackt, zwei Wochen vorher waren ihre Nachnutzer aus der kleinen Wohnung für ihre Eltern in das Gästehaus gezogen. So konnte die Wohnung für ihre Eltern renoviert werden. Schließlich wollten ihre Eltern in einem weniger jugendlichen Wohnambiente leben. Die kleine Wohnung war richtig chic geworden. Mit einem Teil der alten Möbel erinnerte sie die Eltern sogar an ihre eigenen Anfänge. Viele aus der Gemeinschaft hatten geholfen. Alle wunderten sich, wie schnell die neuen Flexitapeten an den Wänden waren. Seit der Erfindung, wurden nur noch diese Tapeten in ihrem Gebiet genutzt. Es gab ab und an Erdbeben, doch die Tapeten waren so flexibel und dehnbar und gleichzeitig so stark, dass sich die Schäden zum Glück nach einem Erdbeben meistens in Grenzen hielten. Als ihre Eltern umgezogen waren, wurden die nun überflüssigen Möbel an andere weitergegeben. Keiko hatte sich nur wenige Stücke ausgesucht. Der Farbgeschmack von ihr und ihrem Mann war ganz anders, als der ihrer Eltern. Die meisten Möbel hatten neue Nutzer gefunden und der Rest der Möbel wurde recycelt. Keikos neue Wohnung war nach dem Ausräumen schnell renoviert. Einige der handwerklich Ausgebildeten, hatten ihre Freude die Wohnung neu zu gestalten. Keiko bewunderte die Geschicklichkeit dieser Menschen. Ihr Mann Takumi, ja die ganze Familie fühlte sich im neuen Zuhause wohl.

Keiko – August im 3. Jahr

Daiki kam vom Unterricht zurück. Sie war inzwischen drei Jahre und seit einem Jahr in der Gruppe der Naturbeobachter sowie bei der Nahrungszubereitung aktiv. Zweimal in der Woche ging sie mit ihrer Menschenbetreuerin und drei anderen Kindern ins Gemeinschaftshaus oder in den Gemeinschaftsgarten. Keiko freute sich über die Fortschritte ihrer Tochter. Sie kannte alle wichtigen Obst- und Gemüsesorten. Sie konnte schon alleine einen Salat herstellen. Die Kleine liebte ihre fünf Wochenstunden. In einigen Monaten würde auch Natsuki die ersten beiden Stunden in der Wochen mithelfen. Er freute sich schon darauf – schließlich würde er dann so wie seine große Schwester helfen können.

Omar – Juli im 4. Jahr

Anbar und ihr Mann waren unterwegs. Murad war, wie schon so häufig, bei Omar geblieben. Seine Tochter und ihr Mann waren als Gesangsduo gefragt. Und Murad hatte nur selten Lust auf die Konzertreisen. Nur wenn seine Großeltern mitfuhren war er dabei. Denn dann hatte er immer wen, an den er sich wenden konnte. Und er trainierte für die Meisterschaft der Leichtathleten. Keiner sah ihm seine Behinderung an. Der Ersatzfuß wurde immer wieder seiner Größe angepasst.
Omar lief soeben in die Zielgerade. Er war hier der Schnellste in seiner Altersklasse und die meisten anderen überrundete er auch. 1500 m und 800 m lief er am Liebsten. Wenn alles so weiterlief, würden sie noch sehr viel unterwegs sein. Und Omar würde seinen Enkel gerne von Erfolg zu Erfolg begleiten.

Ben – August im 4. Jahr

Im Gemeinschaftsgarten war reichlich los. Die Tomatenpflanzen leuchteten rot und auch beim Paprika war Erntezeit. Heute sollte der Wintervorrat vorbereitet werden. Nellie holte gerade die Wannen aus dem Schuppen, Kate brachte die Messer. Ben beobachtete seine Schwestern, die sich nun mit seiner Mutter und Ihrem Vater an die Ernte machten. Ein wohliges Lächeln umsäumte seinen Mund. Mit Jo verstand er sich gut. Als sein Vater damals vom Einsatz nicht mehr zurückkam war er gerade sechs Jahre alt. Seine Mutter hatte Jo zwei Jahre später kennengelernt. Und als dann seine Schwestern kamen, war er niemals alleine. Es war manchmal etwas viel – meistens liebte er seine Rolle als großer Bruder. „Ben, vom Zuschauen werden die Tomaten auch nicht gepflückt“ Jo grinste. „Ich komme“ Ben gesellte sich zu den anderen aus der Gemeinschaft. Ken und Timothy, seine besten Kumpel halfen auch mit ihren Familien und selbst Carol war da. Mit dem Baby. Er wollte nachher nochmal mit ihr in Ruhe sprechen. Seit dem schrecklichen Geschehen hatte sie sich verändert. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.
Am Abend saßen die Nachbarn alle zusammen. Die Tomaten und Paprika waren für den Winter konserviert. Die letzten Tomaten köchelten auf dem Herd – heute gab es die traditionelle Tomatensuppe. Timothy war in diesem Jahr dafür verantwortlich. Bei seiner Leidenschaft würde er noch häufig die großen Töpfe für die ganze Gemeinschaft füllen. Carol kam wieder zur Gruppe und setzte sich neben Ben. „Schläft die Kleine?“ Carol nickte. „Sollen wir einen Spaziergang machen, Carol? Deine Mutter passt ja auf!“ Wieder nickte Carol. „Ich habe mich immer noch nicht entschieden. Die Kleine ist süß, aber ich sehe immer noch diesen Kerl – und manchmal möchte ich das alles vergessen.“ Sie sah Ben an. „Was ist richtig? Ich konnte mit zwei Frauen reden, denen es vor einigen Jahren passiert ist. Auch Männer, die sich selbst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen hatten. Und die sind wie der Kerl jetzt auch auf der Recyclinginsel.“ Sie schüttelte sich bei dem Gedanken an ihren Vergewaltiger. „Er wird so etwas hoffentlich nie wieder einem Menschen antun.“ „Davon bin ich auch überzeugt, die Schützer haben ihn ja schnell gefunden – nachdem er dir das angetan hatte. Was fühlst du, wenn die Kleine bei dir ist?“ Ben war stehengeblieben und schaute Carol fragend an. „Wut, Liebe, Verzweiflung, Unsicherheit – sie hat noch nicht mal einen Namen. Ich weiß keinen und irgendwie fühlt es sich dann auch so endgültig an. Habe ich mich schon entschieden? - - - Denn wenn ich mich gegen sie entscheide, braucht sie bald ein dauerhaftes Zuhause. Meine Mutter sagt, wir schaffen es. Aber kann ich die Kleine wirklich liebhaben, so wie eine normale Mutter ihr Kind liebt? Ich war noch nicht bereit für ein Kind. Und wenn, dann mit einem Jungen, der zu mir gehört. Aber ich kann mich ja nicht mal auf eine Beziehung einlassen.“ Ben nahm sie in den Arm, wie schon so viele Male. Carol weinte. Das erste Mal!
Fünf Wochen später wurde Beatrice in die Gemeinschaft aufgenommen. Ben wurde der Pate der Kleinen.

Ina – August im 4. Jahr

Ina trat von einem Fuß auf den andern. Cosima reiste bald an. Seit drei Monaten hatten sie sich nicht gesehen. So eine lange Zeit. Und morgen war dann der große Tag. Sie würden gemeinsam vor den Traualtar treten. Cosima brachte ihre Familie mit. Justin war auch dabei. Und dann begann in Argentinien ihr gemeinsames Leben.
Seit damals war einiges geschehen. Erst sah es gar nicht nach einem Happyend aus. Sie mochten sich zu sehr, als dass einer die wachsende Freundschaft durch unangemessene Annäherungsversuche zerstören wollte.
Justin hatte dann die Initiative ergriffen. Er war schon ein ganz besonderer Junge. Er hatte Ina einfach erklärt, dass er es nicht ertragen könnte, wenn sie ihr nächstes Reiseziel ansteuerte und seine Tante würde traurig sein. ‚Ihr habt euch ja schließlich lieb! ‘. Und so zeigte Ina Cosima kurz vor dem Abschied mit einem Kuss, dass sie sich verliebt hatte. Seit diesem Zeitpunkt waren Cosima und sie ein Paar.
Ina hatte einige Länder bereist, die sie unbedingt noch sehen wollte. Ein halbes Jahr war Cosima in Südafrika dabei. Aber Cosima liebte das Zuhause in Argentinien mehr als Reisen. Ina hatte alle für sie interessante Länder gesehen und sie freute sich bald gemeinsam mit Cosima angekommen zu sein.
„Es war so schön gestern!“ Ina lehnte ihren Kopf an Cosimas Schulter. Für ihren Tag hatten sie beide weiße Kleider nähen lassen. Jeder bei sich, nur der Farbton war abgestimmt. Sie schauten sich auf Inas MyK die Fotos an. Sie waren nun wirklich ein Paar und freuten sich auf die nächsten gemeinsamen Jahrzehnte in Argentinien.
Inas Mutter hatte zwar gehofft, dass Ina in ihrer Nähe wohnen würde, wenn die „Reisezeit“ vorüber wäre. Doch sie fühlte, dass Ina angekommen und glücklich war. Das war das Wichtigste für Inas Mutter.

Omar – Februar im 5. Jahr

Murad war im Gesundheitshaus. Irgendwie muss er wohl übertrieben haben. Sein Fußstumpf war entzündet. Omar saß am Bett seines Enkels. Seine Tochter hatte ihn gestern angerufen. Anbar und ihr Mann hatten die ganze Nacht bei Murad gewacht. Nun gönnten sich die Beiden eine Pause. Er war ja da und es bestand kaum mehr eine Gefahr. Nur müsste Murad es jetzt etwas langsamer angehen lassen. 14 Jahre war er nun. Bisher hatte er nie Probleme mit seinem Fußstumpf. „Opa!“ Murad schaute sich verwundert im Raum um. „Was ist passiert? Was soll ich im Gesundheitshaus?“ Er hörte sich verwirrt an. Er hob die Decke hoch und sah seinen Verband. Er wollte aufstehen. „Halt Murad!“ Omar hielt ihn an der Hand fest. „Du brauchst jetzt erst mal Ruh,e besonders deine Füße brauchen erst mal Ruhe!“ Murad schien nicht begeistert. „Warum brauchen die Ruhe?“
Später stellte sich heraus, dass Murad mehr trainiert hatte, als für seinen Fußstumpf sinnvoll war. Er hatte alle übertrumpfen wollen. Er lag viel Zeit ohne Sport vor ihm und in dieser Zeit wurden seine sportlichen Ziele immer größer. Er wolle in fünf Jahren den 1500 Meter Lauf bei den Olympischen Spielen gewinnen. Seine Eltern waren nicht begeistert. Er habe doch alle Möglichkeiten – Höchstleistungssport könnte doch noch mehr Probleme machen. Murad wollte nichts davon hören und diskutierte mit den Gesundheitsberatern.
Murad war in der Oase im Heilungszelt. Er hatte alle im Gesundheitshaus verrückt gemacht und wegen der guten Versorgungsmöglichkeiten durfte er zu seinen Großeltern. Seine Eltern waren die ganze Zeit für ihn da gewesen, nur jetzt wollte Murad einfach Ruhe haben.
Im Heilungszelt waren immer alle untergebracht, die aufgrund von körperlichen Störungen versorgt oder beobachtet werden mussten. Murad sollte nicht laufen – neben dem Heilungszelt stand das Fitnesszelt. Hier verbrachte er viel Zeit mit all den Übungen, die ihm erlaubt waren. Neben ihm war die dreijähriges Fatima im Zelt, sie hatte sich beim Toben das Bein gebrochen, abends wurde sie von ihren Eltern nach Hause geholt. Dann war da noch die alte Imma – sie war schon über hundert Jahre und sie wollte irgendwann in ihrer Oase sterben – aber noch war es nicht soweit. Sie kümmerte sich liebevoll um die kleine Fatima und unterhielt sich auch mit allen anderen im Zelt.
Omar war oft im Zelt bei seinem Enkel und auch seine Frau Zahrah verbrachte viel Zeit mit den beiden.
Murad war nun schon eine Woche im Heilungszelt. Abends zwischen 18 und 20 Uhr wurde es häufig sehr voll. Irgendwie kamen immer mehr Bewohner, um das gemütliche Beisammensein zu genießen.
Es hatte angefangen, als Murad die alte Imma über früher ausgefragt hatte.
„Als ich fünfzehn Jahre alt war, war ich schon lange verlobt. Malak, mein Verlobter, war auf meine Eltern zugegangen und hatte mit Ihnen den Brautpreis verhandelt. Heute ist es anders – damals hatte ich als Frau wenige Möglichkeiten. Ich wollte studieren – Architektur war mein Ziel. Ich wollte Häuser bauen, in denen viel Grün wachsen konnte.“ Sie schaute die Zuhörer an. „Ich habe studiert, aber es war mir nicht möglich einen Beruf auszuüben, Malek war dagegen. Als Malek vor 60 Jahren starb, da bin ich mit meinen beiden Kindern wieder hier in die Oase gezogen. Hier konnte ich mich freier bewegen. Meine Mutter lebte damals noch. Zu der Zeit ging alles in Richtung „Tag des Handelns“. In den letzten vier Jahren war ich bei den Organisatoren. Es war an so viel zu denken. Viele Menschen wollten an den bestehenden Gegebenheiten festhalten. Gerade Männer hatten es damals schwer. Ihr Leben lang hatten sie gehört, dass wir Frauen am besten hinter verschlossenen Türen aufgehoben seien. Wir mussten in der Öffentlichkeit teilweise unser Gesicht verschleiern. Die ersten MyKs waren herausgekommen und die Aktiven kommunizierten untereinander weltweit. Wir Frauen nahmen uns Stück für Stück das Recht selbst Entscheidungen zu treffen. In der westlichen Welt zogen sich die Frauen damals teilweise sehr freizügig an, das war in unserer Welt eine undenkbare Situation. Ich hatte Kontakt mit Frauen, die ein freies Leben führten. Sie lebten anders und sie hatten ganz andere Vorstellungen von ihrem Äußeren. Im Grunde dachten sie aber wie alle anderen Menschen auch: ‚So geht es nicht weiter, wir machen unsere Erde kaputt.‘“ Alle hörten Imma wie gebannt zu.
„Es war schon komisch, ich als Frau hatte weltweite Kontakte und es wurden immer mehr. Ich koordinierte mit gut 20 weiteren Männern und Frauen hier vor Ort alles, was notwendig war. Ja, wir offiziell Aktiven haben hier mit 23 Personen ganz schön viel aufgemischt. Wir konnten aber nicht anders. Stellt euch vor, die ganze Welt verändert sich, die Menschen treten miteinander in Kontakt, die Regierenden und Reichen – ach ja, die kennt ihr ja gar nicht mehr – Also damals gab es Menschen, die wollten immer mehr haben, einfach, weil sie es so gewohnt waren. Der Preis spielte keine Rolle. Die dachten nur an den eigenen Gewinn, was aus der Erde wurde war egal. Lebensmittel wurden einzeln verpackt verkauft. Ihr wisst doch aus dem Geschichtsunterricht, dass es eine Zeit gab, in der alles mit Geld bezahlt wurde?“ Imma schaute sich um. Die Älteren nickten, die Kinder schauten leicht irritiert. „Also früher gab es Tauschgeschäfte mit Geld. Du konntest dieses offizielle Papier mit einem Wertaufdruck gegen Gegenstände und Lebensmittel eintauschen. Das Papier war irgendwann mal als reines Tauschmittel eingeführt worden, es gab auch gepresste Metalltaler. Irgendwann gehörte ganz viel Geld ganz wenigen Menschen – das waren die Reichen. Und die einzelnen Regierungen druckten immer mehr Geld, damit sie die Zinsen bezahlen konnten. Die Reichen und Regierenden machten alles am Geld fest – besonders das Wachstum. Normale Leute hatten oft nicht mal so viel Geld, um jeden Tag gesundes Essen besorgen zu können und die Habenden bekamen immer mehr.“ „Ja, Omar, so in etwa lief es!“ Imma nickte Omar zu. „Erzählst du weiter? Du sagtest: Wir konnten aber nicht anders, die ganze Welt veränderte sich, die Menschen treten miteinander in Kontakt, die Regierenden und Reichen …“ Murad lächelte Imma zu. „Danke Murad. Ja die Regierenden und Reichen hier, die wollten keine Änderung. Besonders wir Frauen sollten uns raushalten. Und dazu waren wir nicht mehr bereit. Wir kannten Frauen auf der ganzen Erde und in den meisten Ländern wurde eine Frau inzwischen gleichwertvoll wie ein Mann angesehen. Wir, in den arabischen Gegenden, wurden uns unseres eigenen Wertes erst ganz langsam bewusst. Unter den Regierenden dieser Erde gab es sehr viele Menschen, die reich waren. Und meistens hatten Männer das Sagen. Die Kombination reich und mächtig hatte bei vielen, Männern wie Frauen, den Bezug zum normalen Leben zerstört. Sie hatten so viel zu verlieren – das was es zu gewinnen gab an Lebensqualität, das wurde nicht gesehen.“ Imma atmete einmal tief durch. „Wir fingen mit ganz vielen Kleinigkeiten an. Der Müll machte überall auf der Erde Probleme, und die Müllmenge konnten wir am leichtesten minimieren. Wo es ging vermieden wir Verpackungen. Noch lebten unsere Eltern und Großeltern. Es wurden alte Rezepte hervorgeholt und nachgekocht. In der ersten Zeit war es schon komisch und zum Teil sehr anstrengend. Wir waren selbst hier in der Oase daran gewöhnt nur noch einen kleinen Teil der Früchte frisch zu verwerten. Nach der Ernte wurde das meiste in den Fabriken haltbar gemacht und kam dann irgendwann in veränderter Form wieder bei uns an. Neben ganz vielen Dingen, die es hier überhaupt nicht gab.
Also wir kochten mit immer mehr Menschen gemeinsam. Das Konzept vom Tag des Handelens sah gemeinsame Küchen vor. Nicht ausschließlich, aber so, dass jeder nach seinen Bedürfnissen eine passend Mahlzeiten zu sich nehmen konnte. Aber das kennt ihr ja.
Dann bebauten wir die Felder wieder mit den alten Samen – es wuchs, was in unserer Region wachsen konnte. Wenig Wasser – viel Wärme – wie es halt in unserer Gegend ist. Dann sortierten wir den Müll der letzten Jahre und brachten diese an die neu entstehenden Recyclingpunkte. Ich bin auch einige Male mitgefahren – es war so viel Müll, einfach nur erschreckend.
Das Wichtigste in der Zeit war jedoch, dass der Zusammenhalt wieder mehr wurde. Vorher hatte jeder Angst, dass er zu wenig abbekam. Wir wirtschafteten jetzt gemeinsam und alle hatten die Sicherheit, satt zu werden. Wir haben einfach gehandelt – ohne gegen die damals herrschenden Regeln zu verstoßen. Das hätte zu viel Aufmerksamkeit auf uns gezogen. Überall auf der Erde wurde es so gehandhabt. Es dauerte insgesamt wohl zehn Jahre, bis die wichtigsten Punkte für eine friedliche Welt zusammengetragen waren. Es gab viele verschiedene Aktive, die weltweit Dinge durchdachten und sich zusammenschlossen.
So etwas gab es vorher in dem Ausmaß und in der Streuung noch nie. Damals hieß die weltweite Verbindung „Internet“. Über alle Grenzen hinweg konnten sich Menschen unterhalten und informieren.“ Imma legte eine Pause ein. „Wieso habt ihr so viel Müll gemacht?“ Murad konnte das Gehörte nicht so richtig verstehen. „Hmja wieso!!! Ich kann es dir nicht sagen. Es war so bequem. Teilweise brauchten wir uns die Hände nicht dreckig machen, denn es war ja fertig, und irgendwie hatten wir uns an den Geschmack gewöhnt. --- Es war schwer, wieder die natürliche Nahrung zu essen. Es gab richtige Gewöhnungssituationen. Wir saßen mit Augenbinden am großen Tisch und probierten blind die verschiedenen Lebensmittel. Es wurde uns bewusst, dass wir viele Sorten einfach nicht mehr rausschmecken konnten. Besonders den damals Alten wurde es bewusst. Sie erinnerten sich an frühere Zeiten, die Erinnerung an den Geschmack der Nahrungsmittel kam nur ganz langsam wieder. Dann gab es viel zu erzählen, wi die eigene Mutter oder Oma diese Nahrungsmittel damals zubereitete. Und ich hatte ja auch Kontakt zu anderen Aktiven – in den Städten war es noch viel stärker – da wussten Kinder oft nicht, dass Getreide, Obst und Gemüse erst mal wachsen musste, um geerntet zu werden, oder auch, dass Kamelmilch nur dann entsteht, wenn ein Kamelkalb geboren wurde und die Kamelmutter gemolken wurde. Wir lebten nicht wirklich – klar die schönen Momente, aber ansonsten bestand das Leben darin zu sehen, was die Reichen alles hatten, zu wissen, dass es für einen selbst gar nicht in Frage kommt und dann sich in diese Scheinwelt zu flüchten mit Filmen, Onlinespielen, Romanen und Zeitschriften. Ich kam auch nur ganz langsam aus dieser Mühle raus.
Wir waren halt viele, die einfach nicht mehr so weiterleben wollten.“ Imma sah müde aus. Zahrah lächelte ihr zu. „Ich weiß auch so einiges aus den Erzählungen, aber es ist doch was anderes, als Kind den Übergang erlebt zu haben oder als Erwachsene, in voller Verantwortung wie Imma. Lasst uns für heute Schluss machen. Morgen ist auch noch Zeit und ihr seid ja noch etwas länger hier.“

Keiko – März im 5. Jahr

Keiko und Takumi wachten auf. Die Erde bebte. Schnell waren sie in den Kinderzimmern. Jeder schnappte sich eines der Kinder und rannte in den Sicherheitsraum. Der Raum war ohne Fenster, aber mit einem gesicherten Ausgang. Hier gab es nur viele Decken und Kissen.
Sie wurden heftig durcheinander geschüttelt. Ängstlich kuschelten sie sich aneinander. Sie hörten Dinge fallen in den anderen Räumen. Es hatte in den letzten Tagen Warnungen für leichte Erdbeben gegeben. Deshalb war der Sicherheitsraum auch vorbereitet. Aber das war kein leichtes Beben. Leichte Beben fühlten sich anders an.

Daiki und Natsuki hatten so ein heftiges Beben noch nie erlebt. Die ganze Zeit redeten Keiko und Takumi mit ihren Kindern. Sie versuchten die beiden zu beruhigen. Sie selbst waren sehr unruhig. Die Rufe draußen zeigten, dass nicht alle aus der Gemeinschaft in ihren Sicherheitsräumen waren. Es klopfte und Takumi öffnete seinen Schwiegereltern vorsichtig den gesicherten Ausgang. Schnell schloss er den Ausgang wieder.
Keikos Eltern waren vom Erdbeben überrascht worden. Sie hatten lange bei Freunden in der Nähe gesessen und sich kurz vor dem Beben auf den Heimweg begeben. Jetzt waren sie erst mal alle in Sicherheit. Die Eltern erzählten, dass draußen viel zerstört war. Der Weg wäre regelrecht aufgebrochen. Nach zwei Stunden wurden die Beben leichter. Die sechs atmeten auf. Takumi und sein Schwiegervater inspizierten die Wohnung. Bis auf einige Porzellan- und Glasgegenstände war alles O.K. Die beiden waren gerade wieder im Sicherheitsraum, beladen mit einigen Lebensmitteln, da erschütterte erst ein leichtes Nachbeben das Haus, bevor alles ganz heftig wurde.
Drei Stunden später erklang die Entwarnungssirene. So ein Erdbeben hatte die Gemeinschaft seit über 40 Jahren nicht mehr erlebt. Die Eltern hatten in der letzten Stunde, nachdem die Beben nur noch leicht und selten kamen, einiges erzählt.
Keiko hatte die Nachrichten gehört. Entwarnung für mehr Beben. Es war inzwischen Mittag. Die Familie traute sich wieder aus dem Sicherheitsraum. Im Haus war noch einiges mehr zu Bruch gegangen. Aber die Mauern standen und auch die Sicherheitsmaßnahmen zeigten ihre Berechtigung.
Nach dem ersten Aufatmen hatten sie versucht Kontakt aufzunehmen mit ihren nächsten Familienangehörigen und engen Freunden. Direkt erhielten sie keinen Kontakt. Keikos Bruder, der auf Reisen war erzählte, dass er mit der Schwester gesprochen hatte. Alle waren gesund. Und das empfand keiner als selbstverständlich. In den Nachrichten wurde von großen Schäden berichtet. Straßen und auch Gebäude, die genau über den Verwerfungen lagen, waren auseinandergebrochen. Die Männer machten sich auf den Weg zur Wohnung der Eltern und sie wollten auch den Arbeitsbereich inspizieren. Der Betrieb wurde seit Generationen von der Familie geführt. Und dabei waren schon mal Gebäude zerstört worden. Die Eltern hatten nach dem großen Beben die Gebäude verlegt. Es war nicht absehbar, wo ein Beben Schaden anrichten würde.
Schon zwei Tage waren seit dem Beben vergangen. Der Betrieb musst erst mal renoviert werden. Die Arbeitshelfer würden einige der Arbeiten mit nach Hause nehmen. Der größte Teil der Produktion fiel aus. Alle helfenden Hände würden für den Aufbau benötigt.
Sie hatten Glück gehabt. Das Beben war nachts ausgebrochen. Außer einem Schützer war niemand in den Gebäuden gewesen. Der Schützer hatte einen sicheren Unterschlupf gehabt, ihm war nichts passiert. Insgesamt waren in der Gemeinschaft nur einige Menschen leicht verletzt worden. Die Sicherheitsräume hatten sich bewährt. Es waren viele Gebäude beschädigt. Die flexiblen Tapeten und Anstriche hatten ganze Arbeit geleistet.
Nach und nach kamen Nachrichten aus den Nachbargemeinschaften. Dort hatte das Beben noch stärker gewütet. Gut hundert Kilometer entfernt war in einer Gemeinschaft mitten im Epizentrum über die Hälfte der Gebäude baufällig und was noch viel schlimmer war, es gab fast 100 Tote und über 500 Verletzte. Die Helfer von den Naturrettungsdiensten waren in die am schwersten betroffenen Gebiete gelangt. Das waren die wenigen Situationen, in denen die schnellsten Verkehrsmittel genutzt wurden, Flugzeuge der neusten Generation, mit allen Energiemöglichkeiten ausgestattet. Meistens flogen Sie nur mit nachhaltiger Energie. Im Notfall wurden die wenigen noch benötigten fossilen Brennstoffe genutzt, um Menschen in Sicherheit zu bringen.
Nach fünf Tagen waren auch einige Naturrettungsdienstler in ihrer Gemeinschaft. Die meisten Arbeiten liefen schon strukturiert ab. Die Helfer hatten etwas schweres Gerät mit. Im Betrieb wurden einige Arbeiten dadurch erleichtert. Wichtiger waren die direkten Nachrichten aus den anderen Gemeinschaften. Die brachten Nachricht von Takumi’s Schwester. Sie hatte schwere Brüche erlitten, ebenso ihr Mann und eines der Kinder. Die Eltern hatten bis auf einige Schrammen das Beben gut überstanden. Sie halfen der Schwester und ihrer Familie so gut es ging. Takumi konnte die Tränen nicht zurückhalten – und warum sollte er auch. In den letzten Tagen konnte er keinen aus seiner Familie erreichen. Und er wusste, dort war das Beben am stärksten gewesen. Und konnte er aufatmen, seine Familie war in Sicherheit. Sie lebten, es wurde für sie gesorgt.

Ina – März im 5. Jahr

Ina schaute in den Garten. Da saßen sie alle. Ihre Eltern, ihre kleine Schwester Frederica mit Ihrem Mann und ihr Bruder mit seiner Familie. Seit einer Woche waren die Gästezimmer im Haus vollständig besetzt. Cosima verteilte Getränke und Ina hatte gleich den Kuchen fertig geschnitten.
Ein halbes Jahr hatte sie mit ihrer Familie nur mit dem MyK kontakt. Seit sie mit Cosima zusammen war hatte sie sich zu einem richtigen Familienmenschen entwickelt. Und das fühlte sich richtig an. Vorher ging sie zufrieden als Einzelgänger durchs Leben.
„Mama und Papa, Ina und Cosima, Ernesto und Celina!“ Frederica hatte sich erhoben. „Ich darf euch heute mitteilen, ihr werdet wieder Oma, Opa, Tante und Onkel.“ Alle Arme streckten sich zu Frederica und Carlos. Ernesto und Celina achteten schnell auf ihre beiden Kinder. Rico und Sophia begriffen erst nach und nach, dass sie bald einen Cousin oder eine Cousine hätten. Die beiden waren aber auch erst drei und fünf Jahre alt.
Als sich der Trubel gelegt hatte, wurden alle möglichen Pläne gemacht. Ina und Cosima würden leider nicht gleich nach der Geburt vor Ort sein, dies ließen ihre Aufgaben nicht zu. Ina hatte einen Seufzer nicht unterdrücken können. Cosima nahm sie liebevoll in den Arm.
Morgen sollte die Familie wieder nach Italien abreisen. Mit dem Schiff waren drei Wochen für die Überfahrt eingeplant. Die letzten vier Wochen hatten alle genossen. Bei Frederica war ein kleines Bäuchlein zu sehen, in vier Monaten wären sie zu dritt. Sie war im Gesundheitshaus gewesen und dort hatten sie keine Bedenken für die Überfahrt geäußert.
Carlos stürzte in die Küche. „Ich bin mit Frederica bei den Schützern. Es gab ein Erdbeben in Japan und Frederica muss jetzt die Koordination der Helfer vorbereiten. Das Schiff werden wir nicht mehr schaffen. Es ist doch O.K, wenn wir noch ein oder zwei Wochen bleiben. Es ist wichtig, dass wir von einem festen Standort organisieren, die Helfer sind alle schon startbereit.“ Er drückte alle Anwesenden und war verschwunden. Inas Eltern erlebten diese Situation nicht zum ersten Mal. Schließlich kannten sich Carlos und Frederica durch die Arbeit im Naturrettungsdienst. Seit fünf Jahren koordinierten sie gemeinsam mit 40 Koordinatoren weltweit die Hilfen allen gefährlichen Naturereignissen. Sie standen mit den Koordinatoren der anderen Kontinente im regen Kontakt und alles, was für die Menschen im Rettungsgebiet getan werden konnte, wurde auf den Weg gebracht.
Schweren Herzens hatten sich die Eltern und ihr Bruder mit Familie verabschiedet. Die beiden hatten sie nur schnell über den MyK erreicht.

Bruce – April im 5. Jahr

Bruce atmete tief durch. - Zuhause - Nach über 8 Monaten hatte er sich von seinem Freund und Kollegen Brain am Hafen getrennt. Dieser fuhr, genauso wie er selbst, in den Heimatort. Bruce freute sich auf seinen Vater. Beim letzten Treffen war seine Mutter nach langem Kranksein gestorben. Er war dankbar, dass er vom Kapitän damals sofort einen Heimaturlaub verordnet bekam. „Du wirst bereuen, wenn du jetzt nicht fährst. Und komme erst wieder, wenn bei euch zuhause alles klar ist.“ Ja, das war auch schon wieder so lange her. Im Gesundheitshaus war seine Mutter dann im Kreise der Familie ruhig eingeschlafen. Ganz friedlich. Nach zwei Monaten war er wieder an Bord gegangen. Mit seinem Vater und den Geschwistern hatte er immer Kontakt. „Großer Bruder, du träumst ja mit offenen Augen.“ Seine Schwester Lilian umarmte ihn herzlich. „Gut, dass du wieder zuhause bist.“ „Onkel Bruce, hast du uns wieder Muscheln mitgebracht?“ Nina und Sam schauten zu ihrem Onkel hoch. „Hallo ihr beiden. Natürlich habe ich für jeden von euch wieder eine Muschelschale. Nachher hole ich sie aus dem Seesack.“ Die beiden grinsten. Bruce schnappte sich seinen Seesack und folgte seiner Schwester und den Kindern zum Wagen. „Mama wollte heute unbedingt die Kutsche nehmen. Sie konnte kein Mobil klarmachen. Wir fahren sowieso lieber in der Kutsche.“ Bruce nickte seiner Nichte zu. „Ich auch“ flüsterte er ihr ins Ohr. „Du, das kitzelt. Du siehst aus wie ein Bär.“ Lilian lachte. „Es ist so gut, dass du da bist. Dad wird sich auch freuen.“
Bei den Kendalls hielt Lilian an. „Dad!“ Nur das Geräusch eines Rasenmähers war zu hören. Sam war schon abgestiegen und lief zu seinem Opa, der hinter dem Haus den Rasen mähte. „Opa kommt sofort, er sagt, er muss nur noch eine Reihe mähen. Dafür fängt er morgen nicht nochmal an. Er kommt sofort mit dem Mäher nach Hause. Morgen wäre unser Garten und den von Frau White dran. Er würde sich aber über eine Tasse Tee freuen.“ „Hast du Opa gesagt, dass Onkel Bruce da ist?“ Sam schüttelte den Kopf. „Der kann sich gleich lieber direkt freuen. Bei dem bisschen hätte es sich nicht gelohnt!“ Lilian und Bruce schüttelten den Kopf. Recht hatte der Junge ja.
Abends saßen sie alle beisammen. Greg hatte sich frei genommen, als Lilian ihm Bescheid gesagt hatte, dass Bruce mal wieder zuhause war. Er saß neben seinem großen Bruder und hörte ihm gespannt zu, was er auf seiner Recyclingtour durch den Ozean alles erlebt hatte. Besonders die Begegnungen mit Walen und Delfinen begeisterten ihn. Und die Bilder auf dem MyK seines Bruders begeisterten nicht nur ihn. Lilians Mann Drake kam nach Hause, die Kinder hingen sofort an ihm und mussten alles erzählen. Er begrüßte Bruce herzlich. Im großen Sessel beobachtete der Vater und Opa seine Familie. ‚Es wäre noch schöner, wenn seine Frau dabei gewesen wäre. Sie hatte diese Zeiten immer genossen wenn Bruce nachhause kam. Die Erzählungen, die Eindrücke, die Bilder und die Begeisterung vom Rest der Familie, alles bodenständige Menschen. Bruce hatte als einziger das Reise-Gen seiner Großeltern geerbt. Er vermisste seine Frau besonders in solchen Momenten, wo die Familie zusammenkam. Aber er war dankbar, dass sie nicht mehr leiden musste. Und der Abschied war gut gewesen. Bruce war da, ebenso Lilian, Greg und auch Wayne, sein jüngster Sohn.‘
„Dad, ich habe dir auch etwas mitgebracht“ Bruce beugte sich zu seinem Vater. „Ja, mein Junge, Mum hat es immer genossen, wenn ihr alle zusammen sitzt und du erzählst. Manchmal vermisse ich sie so sehr!“ Bruce nahm seinen Vater in die Arme. „Ich auch. Jeden Sonntag hat sie mich angerufen, die ganzen Jahre. Manchmal hatten wir kaum Zeit, aber ein paar Sätze gingen immer. Manchmal warte ich heute noch auf den Anruf. Aber da kommt keiner mehr.“ „Ich wusste gar nicht, dass ihr feste Zeiten hattet. Sie erzählte immer das Neuste, aber manchmal auch erst in der Woche.“ Bruce nickte „ Sie rief immer an, wenn du am Sonntag deinen Mittagschlaf gehalten hast. Es war schon toll, manchmal hat sie sogar bei dir im Wohnzimmer telefoniert – ich habe dein Schnarchen gehört.“ Mit einem Grinsen fuhr er fort. „Ich habe dir etwas ganz besonderes mitgebracht. Erinnerst du dich noch an die Geschichte mit dem roten Kunststoffkorb, in den deine Mutter immer die Badesachen für den Strand gepackt hat?“ Sein Vater wurde nun ganz wach. „Der, an dem sie so lange gehangen hat, und den sie nur zum Recyceln gegeben hat, weil die Griffe wirklich hinüber waren?“ „Ja, Dad, so einen Korb habe ich auf meiner Recyclingtour gefunden. Schau hier“ Bruce hob den Korb vom Boden. „ Ja, so einer war es, der sieht ja aus wie neu und noch immer so herrlich rot.“
Am nächsten Morgen machten sich Bruce und sein Vater mit dem Korb auf den Weg zu Bruce Tante Emilie. Sein Vater war absolut guter Dinge, er hatte den ganzen Abend von seiner Kindheit erzählt. Tausend Dinge waren ihm eingefallen. Sam und Nina hatten nur gestaunt, was der Opa so alles erlebt hatte. Da waren Begriffe gefallen, die sie nur aus dem Geschichtsunterricht kannten. Finanzen, Armut, Hunger und Krieg. Sie hatten keine Vorstellung davon, wie die Welt früher funktionierte. Selbst Bruce, er war inzwischen ja auch schon 45 Jahre, kannte diese Begriffe nur aus den Erzählungen seiner Großeltern und Eltern. Und er selbst war dankbar, dass er in einer Welt nach dem „Tag des Handelns“ lebte. Er feierte diesen Tag immer gerne mit, so lebendig hatte er schon lange nicht mehr von der Zeit davor erzählen hören. Und sein Vater hatte den ersten „Tag des Handelns“ schon als Teenager erlebt.
Tante Emilie nahm zuerst den Korb genau in Augenschein. „Nein, dass ich den Korb nochmal sehe. Ed, das waren die besten Badeausflüge überhaupt. Mit Mum und Dad zusammen und den Korb voll mit guten Sachen. Erinnerst du dich noch an unseren Schwimmreifen, den, den Dad immer wieder repariert hat, bis wir beide schwimmen konnten. Wo hast du den Korb her.“ Erst jetzt nahm Tante Emilie Bruce wahr. „Hast du den mitgebracht?“ So etwas wird doch gar nicht mehr hergestellt.“ Bruce lächelte: „Den habe ich aus dem Meer gefischt. Mit ganz vielen anderen Dingen, die schon über Jahre das Meer verschmutzen. Ich habe den Korb gesehen und den Kapitän gefragt. Der meinte, solange ich den nicht irgendwo rumliegen lasse kann ich ihn mitnehmen. Der kann auch später recycelt werden.“ Tante Emilie drückte Bruce herzlich. „Du kannst mich dann ja mal mit zum Strand nehmen, Ed. Wenn du mit deinen Enkeln mal wieder baden gehst.“ „Emilie, du kannst den Korb auch gerne nehmen, wenn du ihn brauchst. Was hältst du davon, wenn wir nächste Woche den Strandkorb packen. Noch haben wir ja einige schöne Tage zu erwarten.“ Bruce nickte nur, als er die Begeisterung seiner Tante spürte. Das wird mal wieder ein toller Ausflug. Wayne sollte auf jeden Fall auch dabei sein. Alle zusammen, wie er das genoss.
Bruce und Brain hatten sich am Hafen getroffen. Bruce erzählte vom Ausflug, von seinen Brüdern, die sich einige Tage frei genommen hatten samt Familie. Sie hatten gemeinsam mit dem Vater einige Erinnerungen aufgefrischt, hatten das Grab der Mutter gemeinsam besucht und sich an den Kindern gefreut. Manchmal hätte auch Bruce gerne eigene Kinder. Aber dafür hatte er nie die richtige Frau gefunden und nun lebte er bei seinen Nichten und Neffen auf. Brain erzählte von seiner Familie. Seine Mutter hatte für die ganze Nachbarschaft Kuchen gebacken, um mit alle gemeinsam am Tisch im Gemeinschaftsgarten Spaß zu haben. Brain hatte sich mit seinen Kindern getroffen. Die Ehe war vor einigen Jahren in die Brüche gegangen, da er nur so selten zuhause war. Die Kinder wollten im nächsten Frühjahr gemeinsam ein Praktikum auf dem Meeresrecycler absolvieren. Mehrere Monate waren seine Kinder bei ihm und Bruce freute sich mit Brain. Die beiden waren nun auch schon 16 Jahre.
Nachdem sich Bruce und Brain beim Kapitän gemeldet hatten verschwanden sie in ihre Kojen.

Ben – Juni im 5. Jahr

Da stand er nun auf dem Treppchen ganz oben. Amerikanischer Meister im Fechten. Ben war glücklich. In den letzten Jahren hatte er sportlich viele Erfolge erringen können. Im nächsten Monat würde er 18 Jahre und dieser Erfolg hatte ihn für die Olympischen Spiele im nächsten Jahr qualifiziert.
Seitdem er vor sieben Jahren das erste Mal die Fechtsporthalle betrat, war er dabei. Gut, dass es das Kennlernprogramm für Interessen gab. Er wäre sonst nie auf die Idee gekommen zu fechten. Mit 10 Jahren wurde jedes Kind aufgefordert Schnupperkurse bei verschiedenen Gruppen zu machen. Egal ob Sport, Musik, Kunst, Natur, Basteln und vieles mehr, auf der Liste standen ganz viele Möglichkeiten. Er war damals schon in der Football-Mannschaft und auch bei den Naturbeobachtern in der Jugendgruppe. Jeder sollte sich für mindestens drei Angebote entscheiden und dort reinschnuppern. Er hatte damals überhaupt keine Lust auf noch mehr Möglichkeiten. Irgendwo hatte er drei Kreuze gemacht und baute dann während der Schnupperstunde im Bastelzimmer einen Vogelbeobachter, beim Theater spielte er in einem Sketch mit und beim Fechten hatte er jede Menge Spaß. Und dabei war er dann geblieben. Football stand noch ab und zu auf dem Kalender, immer dann, wenn kleine Spiele in der Gemeinschaft stattfanden. Für die Naturbeobachter hatte er durch das Fechten wenig Zeit. Und seit gut einem Jahr ließ er sich zum Betreuer ausbilden. Der Schwerpunkt lag beim Sport und es gab so viele Kinder, die wie er auch, so viel Spaß am Fechten bekommen sollten.
Er nahm den Pokal vom Vorjahressieger entgegen. Allmählich wurde ihm klar, dass er nun wirklich bei den Olympischen Spielen teilnehmen konnte.
Am Abend saß Ben mit seiner Familie und den Freunden in der Gemeinschaftsküche zusammen. Es gab BohnenKartoffelspieße. Ben liebte diese Speise. Mit der scharfen Sauce war es ein Gedicht.
Die anderen aus der Gemeinschaft freuten sich mit ihm. Nachdem sie von seinen Wettkämpfen gehört hatten und jedem klar war, einer von ihnen würde an den Olympischen Spielen teilnehmen, drehte sich alles um den Tag des Handelns in der nächsten Woche. Timothy wollte den Speisplan für das Festessen durchgehen, das war ganz schnell getan. Ken, Nellie, Ben, Carol und einige andere aus der Gemeinschaft halfen in der Küche und Timothy hatte die freie Auswahl. Inzwischen hatte er ja so einige Erfahrung – zwei Jahre war er in der Ausbildung zum Ernährungsexperten mit dem Schwerpunkt Zubereitung. Und der Rest der Gemeinschaft würde sich um das restliche Programm kümmern.

Ben – August im 5. Jahr

Seit langem trafen sich die Freunde wieder zu einem gemeinsamen Filmabend. Ein Actionfilm mit den Kentty-Brüdern und mit Susan Father. Die drei zählten zu den beliebtesten Schauspielern von Amerika. Ken hatte die Brüder vor einem Jahr im Gesundheitshaus getroffen. „Die waren total nett. Und die Kranken hatten echt Spaß, als die beiden ihre komische Ader rausgelassen haben.“ Er schwärmte immer noch von der Begegnung.
Es war ganz schön eng in Bens Zimmer. Er saß mit Ken und Timothy auf dem Bett, Carol saß mit Sally auf dem kleinen Sofa. Bei seinem MyK hatte er den Beamer angeschaltet und über das Netz wurde der Film direkt übertragen. Erst vor einer Woche war der Film freigeschaltet worden. Wann sahen sie das letzte Mal so zeitnah einen Film? In den letzten Jahren hatte dann immer einer gefehlt. Und neue Filme schauten sie sich immer gemeinsam an. Entweder bei einem von ihnen zuhause oder im Filmraum der Gemeinschaft.
Jim und Tim Kentty rasten durch den Dschungel, flohen vor wilden Tieren und mussten immer Susan retten, die in jede Falle tappte. „Also das war eher eine Actionkomödie. Es hat auf jeden Fall viel Spaß gemacht.“ Ken hatte das Licht wieder angeschaltet. Die anderen nickten mit einem Grinsen auf den Lippen. „So waren die auch im Gesundheitshaus. Genau So.“ „Und Action war auch genug!“ Carol räkelte sich auf dem Sofa. „Ich bin gespannt, ob ich den Dschungel noch kennenlerne. Die nächsten Jahre werde ich wohl kaum weit fahren.“ „Ich denke, du wolltest mit den anderen gemeinsam zu den Olympischen Spielen?“ Ben grinste sie an. „Na, dafür brauche ich nun wirklich nicht weit reisen. Das sind ja nur 500 km. Und du hast gesagt, wir werden mit einem großen Mobil abgeholt. Schließlich haben wir ja mehr Möglichkeiten so im eigenen Land. Wenn du dich dann für die Spiele vier Jahre später in der Mongolei auch qualifizierst, dann wirst du wohl alleine mit den anderen Sportlern dort hinreisen müssen!“ Ben grinste: „Erst mal die Spiele im nächsten Jahr und dann sehe ich weiter!“

Ina– Oktober im 5. Jahr

Ina und Cosima brachten Frederica, Carlos und den drei Monate alten Justin zum Schiff. Die Koordinationsaufgaben hatten die beiden länger als erwartet aufgehalten. Frederica wollte dann nicht mehr reisen und womöglich das Kind auf der Fahrt bekommen. Ina und Cosima hatten die gemeinsame Zeit genossen und Cosimas Neffe war viel da und erreichte mit seiner Art auch die Herzen der frischgebackenen Eltern. Der große Justin freute sich, als er seinen kleinen Namensvetter das erste Mal sah und er strahlte geradezu, als er die Namenswahl las. Ja er fühlte sich für den kleinen Justin verantwortlich. Auf seinen MyK hatte er extra einen Bereich für das Baby reserviert, damit sie immer in Verbindung bleiben konnten.
Die Wetterbedingungen waren für die Reise gut und so verabschiedeten sich alle an einem sonnigen Oktobertag.

Keiko – Oktober im 5. Jahr

Die meisten Arbeiten liefen wieder, nach dem Beben vor sieben Monaten waren noch einige leichte Beben gewesen – es waren aber die gewohnten Störungen. Das machte keinem Sorgen.
Keiko arbeitete im Büro und konnte durch die Fenster die immer größer werdende Menschentraube sehen, die sich langsam dem Gebäude näherten. Ja, gleich würden sie sich alle gemeinsam des Bebens erinnern und danken, dass ihre Gemeinschaft so viel Glück hatte. Ab morgen würde alles wieder seinen normalen Gang gehen. Die Schäden waren entweder beseitigt oder aber in Arbeit. Morgen würden die Stoffe vom Band laufen. Ein gutes Gefühl.
Keiko hatte heute Abend dann auch noch eine Überraschung für ihren Mann. Sie freute sich auf ihr drittes Kind. In fünf Monaten würde es geboren werden.

Ben – April im 6. Jahr

“Nein!!!!” Ben schrie auf. Da hatte es ihn erwischt. Bei seiner Tour mit den Naturbeobachtern war er in ein Loch getreten und umgeknickt. Sie hatten ihn schnell ins Gesundheitshaus gebracht und auf dem Bild seiner Knochen war der Bruch gut zu sehen. Der Arzt hatte ihm klar zu verstehen gegeben, dass er in den nächsten Monaten keine sportlichen Wettkämpfe bestreiten könne. Der Bruch sein zu kompliziert.
Ken hatte mitbekommen, dass Ben im Gesundheitshaus untersucht wurde und auch er war enttäuscht. Da gab es einmal im Leben einen Freund, der sich für die Olympischen Spiele qualifiziert hat. Die Spiele wären auch noch erreichbar, da sie in Amerika stattfinden und dann machte so ein kleines Loch alles kaputt. Er tröstete seinen Freund und sich gleich mit.

Keiko– April im 6. Jahr

Manabu war schon einen Monat alt. Daiki und Natsuki liebten ihren kleinen Bruder und verwöhnten ihn mit ganz vielen Streicheleinheiten. Keiko hatte ihre Mutterschaftszeit auf ein halbes Jahr angelegt. Sie genoss, nur für die Kinder da zu sein. Ab und an freute sie sich aber riesig, dass sie im nächsten Frühjahr wieder arbeiten würde. Im Betrieb schauten Takumi und ihre Eltern nach dem Rechten. Es lief alles reibungslos. Es war die Firma der Gemeinschaft und nur gemeinsam konnten sie nachhaltige Stoffe herstellen.

Es klingelte. Ihre Freundin war mit den beiden Kindern gekommen. Die beiden waren wie Daiki und Natsuki sechs und vier Jahre. „Ich habe dir etwas mitgebracht.“ Die Freundin überreichte ihr ein kleines aber schweres Paket. „Lecker Honig!“ Keiko bedankte sich herzlich, sie liebte Honig. „Keiko, ich bin jetzt Imkerin. Vor anderthalb Jahr war ich mit den Kindern bei den Schwiegereltern. Der Bruder der Schwiegermutter ist Imker. Du weißt ja, ich bin recht lange dort gewesen. Mein Mann ist nach der Arbeit auch dorthin gefahren und es war schön. Auf jeden Fall hatte ich so viel Freude bei der Arbeit, dass ich alles über Imkerei wissen wollte. Nach dem Erdbeben waren andere Dinge einfach wichtiger. Aber seit vier Monaten arbeite ich bei den anderen Imkern mit. Nächstes Jahr kann ich dir von meinem eigenen Honig etwas abgeben.“ Keiko hatte fasziniert zugehört. Sie liebte Honig und wusste auch um die Bedeutung der Bienen. Auch, dass es inzwischen weltweit eine gesunde Bienenpopulation gab. „Wie viele Völker wirst du betreuen?“ Keiko warf einen kurzen Blick auf die spielenden Kinder und konzentrierte sich dann wieder auf ihre Freundin. „Erst habe ich vier Völker. Im Laufe der Zeit werden es noch einige mehr werden. Ich freue mich auf die Arbeit. Die Kinder sind schon so groß und sie gehen auch mit zu den Bienen. Es sieht putzig aus, wenn die ihre Imkeranzüge anhaben. Meistens arbeite ich, wenn die beiden in der Betreuung sind. Da bleibt viel Zeit. Ich habe in den letzten Monaten viel gehört und gelesen. Es ist toll, dass das Bienensterben nur noch selten vorkommt. Es gibt so viele Sammelgebiete für die Bienen und damit auch ganz viele verschiedene Sorten.“ Keikos Freundin hatte ihre Berufung gefunden. Keiko dachte einen Moment nach. Hätte sie ohne den Betrieb andere Interessen entwickelt. Sie schüttelte den Kopf. Sie liebte Stoffe, und es war immer wieder faszinierend, wie aus den gewebten Stoffträumen Traumkleidung wurde. Takumi liebte auch Stoffe – er mochte besonders die alten Stoffe, die er beim Recyceln zu ganz neuen Produkten veränderte. „Es ist schön, dass wir unsere Berufung leben dürfen. Ich hatte überlegt, ob ich mir den richtigen Beruf ausgesucht habe. Es fühlt sich so an. Wenn ein Betrieb lange von einer Familie geführt wird, dann ist es manchmal schwer zu sehen, ob man wirklich richtig ist. Gerade ist mir klar geworden, es muss mir wohl im Blut liegen – mir macht meine Aufgabe einfach nur Spaß.“
Abends erzählte sie Takumi von ihrer Erkenntnis. „Ich wusste schon immer, im Betrieb bist du richtig. Das warst du früher auch schon. Als ich dich kennengelernt habe, da standst du schon im Betrieb mit einem Lächeln auf den Lippen. Du konntest nur an der richtigen Stelle sein. Und ein Lächeln hat mich schon damals fasziniert.“ Ja, Takumi wollte damals ganz viele verschiedene Betriebe kennenlernen, als er auf der Suchen nach seiner Berufung war. Da war er einfach geblieben. Keiko lächelte ihren Mann an.

Ina – Mai im 6. Jahr

„Ina, es ist ein Päckchen von deinen Eltern gekommen!“ Cosima besuchte Ina beim Zubereiten des Mittagessens im Gemeinschaftshaus. „Ach, das habe ich noch gar nicht erzählt. Meine Eltern riefen vor ein paar Wochen an, dass sie die Tagebücher von Ernesto erhalten haben. Ernestos Firma hatte diese Bücher gefunden. Die Schreiberin, eine argentinische Frau, verstarb vor einiger Zeit in Italien und der Inhalt ist für die richtige Geschichtsschreibung wichtig. Wir sollen die Informationen hier vor Ort teilweise abgleichen, damit ein realistisches Bild entstehen kann. Die Frau hat wohl alles sehr plastisch aufgeschrieben.“
Abends saßen die beiden gemütlich auf dem Sofa und hatten einfach eine Seite aufgeschlagen. Ina las:
‚Heute haben wir alle zusammengesessen und den Tag des Handelns gefeiert. 20 Jahre ist es nun her, seitdem die gemeinsamen Überlegungen in die Tat umgesetzt wurden. Und heute kamen viele Erinnerungen hoch. Was habe ich mich damals gesträubt. Kein Geld für die geleistete Arbeit. Shoppen sollte auch wegfallen. Wie interessant ist es, wenn alle Menschen alles haben können, sobald sie lange genug arbeiten! Heute weiß ich - nach den ersten harten Jahren, in denen das Denken noch in den alten Mustern lief und die Neuerungen alles bisher Gelebte in Frage stellte – ja, der Weg war gut. Schwer, unvorstellbar, besorgniserregend so waren die ersten Jahre. So nach und nach merkte ich die Vorteile. Ich arbeite so, dass ich meine Stärken und Interessen einbringe. Über alle beruflichen Belange kann ich sprechen und alle Informationen frei zeigen. Spionage war vorher an der Tagesordnung und wenn wir ein neues Produkt hatten, dann mussten wir aufpassen, damit es niemand vor uns auf den Markt brachte. Heute sprechen wir mit allen Interessierten weltweit und entwickeln ein Produkt gemeinsam weiter. Bei den Gesundheitsprodukten, die früher auf die Pharmaindustrie – wie lange habe ich dieses Wort schon nicht mehr gehört – und die Drogeriehersteller aufgeteilt waren, gibt es immer noch Verbesserungen, die einen wirklichen Vorteil für alle bringen. In den letzten Monaten war der Durchbruch bei der Zahncreme. Es gibt inzwischen einen Abfüllmechanismus. Früher gab es eine schier unüberschaubare Zahl alleine bei den Verpackungen. Jetzt werden wir nur noch eine Verpackung anbieten. Noch drei oder vier Jahre, dann sind alle Menschen damit ausgestattet. Mit einem Druck lässt sich die Zahnpasta aus der Abgabestation drücken. Je nach Druckstärke mehr oder weniger. Jeder erhält drei gefüllte Abgabestationen und die leeren Abgabestationen werden wieder zurückgegeben. Gemeinsam haben wir nun fünf verschiedene Grundtypen entwickelt. Alle umweltverträglich und effektiv in der Anwendung. Bei den Geschmäckern gibt es mehr Möglichkeiten. Im Wechsel werden pro Sorte sechs verschiedene Geschmacksrichtungen abgefüllt. Der Bedarf wird von jeder Gemeinschaft gemeldet. Teilweise direkt pro Person, aber oft schon als Gruppenmeldung. Es ist wirklich unkompliziert, wenn ich die Gegebenheiten früher betrachte. Es gibt gerade bei den Geschmacksrichtungen Unterschiede, je nachdem wo die Menschen leben. Aber da es fast 100 Herstellungsorte weltweit gibt, ist es ganz einfach.
Einer der größten Unterschiede zu früher ist das entspannte Arbeiten. Alle wollen, dass es in Ruhe abläuft. Stress und Burnout sind Begriffe unter denen sich die Jugend nichts mehr vorstellen kann. Die nächsten Generationen haben so viele Möglichkeiten gut zu leben. Das hätte ich mir nicht vorstellen können.‘
„Wieso sollte es mehr Zahnpasta-Sorten geben?“ Cosima räkelte sich und schüttelte den Kopf. „Ja ich erinnere mich an andere Systeme, von ganz früher!“ Ina überlegte „Tuben gab es, die musste man immer ganz kräftig ausdrücken. Es gab auch bunte. Aber ich weiß nicht, ob ich die selbst noch genutzt habe oder nur beim Besuch in einem Konsummuseum gesehen habe.“ „Ich erinnere mich nicht daran. Das nächste Konsummuseum ist hier ja auch weit weg.“ Cosima stand auf. „Lass uns jetzt ins Bett gehen, es scheint aber interessant zu sein die Tagebücher zu lesen. Worüber sich die Menschen alle Gedanken gemacht haben?“ Sie schüttelte den Kopf und verschwand ins Bad.

Ramona– Mai im 6. Jahr

Ramona saß am Schreibtisch, heute hatte sie in Sprachen eine ganz besondere Anerkennung erhalten. Sie war jetzt Jahrgangssprecherin für Sprachen und den großen Wirkungskreis. Das war mit dem Auftrag verbunden sich im Netz der Jahrgangsprecher anzumelden. Sie freute sich auf den Austausch. Bisher hatte sie nur wenige spanisch sprechende Menschen kennengelernt und die portugiesisch sprechenden waren noch weniger. Und bei den Olympischen Spielen, in gut vier Jahren, würde sie gemeinsam mit 39 anderen Jahrgangssprechern die Betreuung der Sportler übernehmen. Gut, es war an sich für keinen Menschen ein Problem, denn jeder kannte die Weltsprache – aber die Sportler sollten es etwas heimischer haben. Ramona konnte gleich fünf Sprachen neben der Weltsprache und in den nächsten Jahren würde sie noch mehr Erfahrung sammeln. Deutsch war ihre Muttersprache und den heimischen Dialekt beherrschte sie auch. Die Weltsprache war eine Mischung aus allen Sprachen, sobald Kinder fünf Jahre alt waren, lernten sie die Weltsprache. Ihr Lehrer hatte erzählt, dass es früher auch schon mal eine Weltsprache gab, die ähnlich aufgebaut war – nur es gab zu wenige Menschen, die diese beherrschten. Aber egal. Sie liebte Sprachen. Auf Englisch, Französisch und Russisch unterhielt sie sich schon lange mit Freunden weltweit. Jetzt würde dieser Kreis mit spanisch und portugiesisch sprechenden Menschen erweitert. Ihre Mutter teilte die Leidenschaft für Sprachen. Sie sorgte für Übersetzungen, wenn Besucher aus anderen Ländern sich ganz genau ausdrücken wollten. Heute war sie mit einer Besuchergruppe aus Australien unterwegs. Ramona wollte, später, wenn sie mindestens 18 war, die ganze Welt bereisen. Und nun wusste sie, mit 19 Jahren durfte sie bei den Olympischen Spielen in der Mongolei dabei sein. Und sie würde schon ein Jahr vorher anreisen. Genau wie es die vierzig Jahrgangssprecher es für die diesjährigen Spiele machten.
„Mama“ Ramona hörte die Wohnungstür. „Ich bin es Ramona. Mama wird vor 20 Uhr nicht zuhause sein.“ Papa klopfte an ihre Zimmertür. „Komm rein, Papa.“ Sie stand von ihrem Stuhl auf und drehte sich zu ihrem Vater um. „Na, wenn das kein Strahlen ist. Hast du es geschafft in die Auswahl für die Jahrgangssprecher zu kommen?“ Ihr Vater schloss sie in die Arme. „Papa, ich bin die Jahrgangssprecherin und ich darf zu den Olympischen Spielen in vier Jahren.“ „Wow, damit habe ich ja überhaupt nicht gerechnet. Die Entscheidung stand doch erst in drei Monaten an!“ Ramona war begeistert vom Gesicht ihres Vaters. Völlig entgeistert sah er aus. Und gleichzeitig huschte ein Grinsen über sein Gesicht. „Ja, das stand auch nicht auf dem Plan. Es ist mal wieder nach dem Prinzip „Entscheidung sofort“ gelaufen. Alle waren sich einig und dann wurde sofort mitgeteilt, dass ich für unseren Bereich für alle 15jährigen die Jahrgangssprecherin werde.“ Ramona grinste „Ich freue mich, wenn Mama nachher da ist. Die wird sich auch freuen. Papa nickte. „Ganz bestimmt, Mama hat vor 20 Jahren als Begleiterin viel Spaß gehabt.“ Ramona kannte die Geschichte. Papa und Mama kannten sich von den Olympischen Spielen. Papa war schon damals als Naturbeobachter unterwegs. Momentan meistens im Umkreis. Er sagte immer „Solange ich meine Familie um mich haben kann, werde ich hier arbeiten. Später bin ich gerne wieder mit Mama unterwegs und besuche euch Kinder, wo ihr euch auch immer gerade aufhalten wedet.“ Irgendwie waren alle sehr reisefreudig.
Ramonas Mutter kam nach Hause und sie brachte auch gleich ihren Bruder mit. „Mama, Hendrik“ Die beiden schauten Ramona erwartungsvoll an „Ich bin Jahrgangssprecherin für unseren Bereich und ich darf in vier Jahren zu den Olympischen Spielen in die Mongolei!“ Mama nahm sie in den Arm und drehte eine Runde. Ihre Mutter war stark. „Mama lass mich Ramona auch mal drücken, schließlich bin ich ihr großer Bruder“.
An diesem Abend gab es Ramonas Lieblingsessen. Salatteller mit allem. Hendrik hatte Frau Meierhoff angerufen und die hatte extra für sie im Schutzhaus einige Kleinigkeiten geerntet. Im Frühling gab es die ersten frischen Sorten des Jahres. Radieschen, Schnittsalat, kleine Möhren und selbst eine Kohlrabi war dabei. Als Hendrik zurückkam erzählte er, dass Frau Meierhoff mächtig stolz auf Ramona sei: „Sie sagte, du bist die erste, die aus unserer Gegend sicher bei den Spielen dabei ist. Sie sei vor 12 Jahren dabei gewesen. Einfach als Zuschauer. Und die Atmosphäre sei einfach gigantisch – oder so ähnlich.“ Hendrik grinste Ramona an. Die Eltern nickten einträchtig. „Ja Rüdiger, das war damals auch einfach nur toll. Soll ich erzählen, wie es mit den Diskuswerferinnen war?“ „Neeeeeiiiiin“ Ramona und Hendrik kannten die Geschichte und sie dauerte mindestens eine halbe Stunde. Besonders wenn die Eltern immer wieder vom Thema abwichen und ihre eigene Kennenlerngeschichte dazwischen packten. Papa grinste: „OK, dann ein anderes Mal. Heute ist Ramona die Hauptperson.“

Ben– Juli im 6. Jahr

Nun saßen sie alle beisammen. Der Gemeinschaftsmentor hatte seinen MyK als Beamer eingerichtet. Alle beobachteten gespannt die Eröffnungsfeier. „Dort solltest du sein, da mitten zwischen den anderen Sportlern aus Amerika.“ Timothy hatte immer noch an der Enttäuschung zu knabbern. Ben war um einiges ruhiger. Er hatte sich als Ziel gesetzt in der Mongolei anzutreten. Mit dem Training hatte er schon wieder vorsichtig begonnen. Die Beinarbeit ging er nur ganz langsam an, dafür vermittelte er den Kindern von seinem Wissen und diese waren immer mit Begeisterung dabei. Bis zu den nächsten Spielen würde er als Begleiter schon fertig ausgebildet sein, dann würde die Rasselbande sicherlich genauso hinter ihm stehen.
Beatrice kam aus der Küche. „Onkel Ben“, sie strahlte ihren Patenonkel an. Schnell machte Ben etwas Platz. Die Kleine war nun schon über zwei Jahre und krabbelte auf den Sessel. Nicht lange, da war sie auf Bens Schoß eingeschlafen. Nur halb beobachtete er das Geschehen an der Leinwand. Er genoss das Vertrauen der kleinen Beatrice. Sie war ein Teil seines Lebens geworden. Carol stand im Türrahmen zur Küche. Sie war dankbar für die Vertrautheit zwischen Ben und Beatrice. Sie ließ die Kleine gerne bei ihm – es gab ihr etwas Zeit für sich und mit ihren Freundinnen. Sie wusste, Beatrice war nachher immer zufrieden. Sie beobachtete die beiden. Es war gut gewesen, Beatrice zu behalten. Sie liebte es, wenn sie mit ihren Patschhändchen morgens an ihr Bett kam und sie wach machte. Und die Freude über jede Kleinigkeit. Nur noch ganz selten machte sie sich Gedanken über den Vergewaltiger. Sie lebte etwas anders als die Gleichaltrigen, aber sie hatte ja alle Unterstützung.

Omar– Juli im 6. Jahr

Die Olympischen Spiele hatten vor vier Tagen begonnen. Eine Delegation von Saudi-Arabien war auch dabei. Murad schaute sich alle Wettkämpfe an. Er hatte sich vorgenommen in vier Jahren mit in die Mongolei zu fahren. Sein Fußstumpf war schon lange wieder heil und er lief und lief und lief.
„Opa, wie ist es eigentlich genau, wenn ich mitlaufen möchte?“ „Tja , Murad. Wenn ich das nur wüsste. Früher gab es getrennte Spiele von Menschen mit Handicap und ohne. Seit 40 Jahren laufen die Spiele gemeinsam. So wird die Leistung von Menschen, die körperliche Nachteile haben mehr beachtet. Aber bei dir weiß ich nicht, wo du wirklich laufen willst. Du bist schnell und wer dich laufen sieht, bemerkt nicht, dass du einen künstlichen Fuß hast. Wir werden die Spiele einfach mal beobachten und nachher kann ich mich genau erkundigen. Es ist ja auch nicht normal, dass du alles so schaffst.“ Ja, selbstverständlich war es nicht – aber alle freuten sich mit Murad. Er war etwas vorsichtiger geworden, seitdem er im letzten Jahr so lange im Heilungszelt verbracht hatte. Er erinnerte sich aber gerne daran. Was hatte er alles erfahren. Imma hatte noch so viel erzählt. Von ihren Erfahrungen mit den Regierenden nach dem Tag des Handelns. Dann hatte sie von der Begegnung mit einer aus Kanada stammenden Frau erzählt. Diese gehörte auch zu den Aktiven. Wie der engste Kreis der Frauen und Männer gemeinsam den Tag des Handelns in den Mai gelegt hatten, nachdem die Diskussion nicht enden wollte. Interessant waren auch die Erfahrungen ihrer ersten Reise in die Nachbarstaaten. Es war einige Monate nach dem 1. Tag des Handelns gewesen. Viele waren noch sehr unsicher. Immer wieder hätte sie die unterschiedlichsten Möglichkeiten aufgezeigt.
Am besten hatte Murad gefallen, als sie von der Zeit nach dem 10. Tag des Handelns gesprochen hatte. Ihr war zu dem Zeitpunkt bewusst geworden, dass die schlimmste Zeit vorbei war. Die meisten Menschen sahen die Vorteile eines friedlichen Zusammenlebens. Sie hatte immer aufgeschrieben, wenn es einschneidende Ereignisse gab. Sie sagte, dass nach dem 22. Tag des Handelns kaum jemand den Weg zurückgehen wollte. Sie hatte auch berichtet, dass die Aufgaben ganz anders waren, als vor dem Tag des Handelns. Wie hatte sie noch gesagt: ‚Ich war vorher berufstätig mit relativ festen Stunden und allem, damit ich meine Familie ernähren konnte. Mein Engagement lief nur in der Freizeit. Nach dem Tag des Handelns wurde alles, was ich für die Gemeinschaft tat, angerechnet. Ich war genauso eingespannt – das Leben war auf einmal so viel leichter und sinnvoller. Wir ernährten uns selbst. Die kleine Tierherde veränderte sich. Erst gab es noch Kühe, dann waren wir wieder auf unsere natürlichen Mitbewohner konzentriert. Es war weniger aufwändig und es machte gleichsam mehr Freude. Die Tiere waren die Wüstenregion gewohnt.‘
Ja, die Zeit war schön gewesen. Imma war im Dezember gegangen. Sie hatte solange im Heilungszelt gelebt. Mit einer immer größer werdenden Schar von Zuhörern. Teilweise hatte Murad die Abende aufgezeichnet – so viele Informationen, die konnte man sich ja nicht merken. Nachdem er sich wieder normal bewegen durfte, war er meistens mindestens dreimal wöchentlich pünktlich zum gemütlichen Teil im Heilungszelt. Sein Opa war auch häufig dabei gewesen. Und inzwischen gab es einmal die Woche einen Gemeinschaftsabend der Erzählungen. Meistens waren es Erlebnisse von früher. Der Erzähler freute sich seine Erinnerungen zu teilen. Und es gab viele Menschen, die den 1. Tag des Handelns schon bewusst erlebt hatten. Sein Opa war damals 13 Jahre alt gewesen und seine Oma 12 Jahre.
Murad hatte all die gemachten Filme bearbeitet und ganz interessante Geschichten daraus gebastelt. Und es gab viele, die diese Filme anschauten. Imma hatte arabisch gesprochen, das fiel ihr bei den Geschichten leichter. Sie sprach die Weltsprache aber perfekt.
Omar genoss diese Abende, besonders wenn Murad in der Oase war.
Und irgendwie würde er alles tun, damit Murad seinen Traum von den Olympischen Spielen verwirklichen konnte.

Ina– August im 6. Jahr

Woche für Woche wurde der Kreis der Zuhörer größer. Ina und Cosima wechselten sich mit dem Lesen aus den Tagebüchern ab. Sie hatten ein paar Freunde an einem Dienstagabend um 18 Uhr eingeladen und seit drei Wochen fanden die „Lesungen“, wie Justin sagte, im Gemeinschaftsraum statt. Cosima schaute sich um, es fehlte keiner. Geschichte musste wohl spannend sein. Viele hatten vorher hier schon gegessen, deshalb wollte Ina heute auch nur zuhören. Über hundert Leute hatten sich heute zum Essen angemeldet. Und sie stand seit acht Uhr in der Küche. Wie immer gab es viele helfende Hände.
Cosima schloss das dritte Tagebuch. „Es war eine Vielzahl von Informationen zur Geschichte. Ich sehe euch an, dass ihr gerne mehr davon hören würdet. Bei der Durchsicht habe ich jetzt noch zwei Briefe gefunden, die an Lucia gesendet wurden. Die wurden in der Zeit um den ersten Tag des Handelns an sie geschickt. Aber hört euch den ersten Brief einfach an.“
‚Liebe Lucia, in der Welt ist so viel durcheinander. Und nun wollen die Engagierten, dass jeder Mensch vier Wochen von zuhause fortgeht, um sich über die eigenen Wünsche klar zu werden.
Im ersten Moment sollten ja alle Erwachsenen einzeln auf Gruppen verteilt werden, jetzt gilt die Regel, wer mit seinem Partner gemeinsam in die „Was ist mir wichtig“-Phase gehen möchte, der darf dies gerne tun. Soweit ich verstanden habe, sollen wir woanders die Gemeinschaft aufbauen. Gärten anlegen, kleinen Herden betreuen und vieles mehr. Morgen sind wir dran und ich werde dir schreiben, wie alles läuft. Was Gutes kann da sicherlich nicht rauskommen – aber da muss jetzt jeder durch. So wie es ist, kann es ja auch nicht weitergehen.
Viele Grüße auch an Thomás
In Freundschaft Julieta‘
Und hier gleich der zweite Brief circa ein halbes Jahr später
‚Liebe Lucia,
ich hatte dir ja von meinen Sorgen geschrieben – es war wirklich gut. Wir haben uns alle einfach nur wohl gefühlt. Was weiß man über sich selbst, wenn das ganze Leben mit Arbeit und Aufgaben angefüllt ist. Agustin war in einer anderen Gruppe als ich. Und das ist gut gewesen. In den letzten Jahren haben wir so viele Dinge einfach getan. Und einige Dinge haben wir gemacht, weil wir dachten, es wäre gut für den Partner. War es aber gar nicht.
Wir kamen an einem sonnigen Tag nach einer Fahrzeit von fast drei Stunden am Treffpunkt an. Wir wurden erst mal auf verschiedene Wohnungen verteilt und konnten dort auspacken.
Abends gab es dann das erste Treffen. Wir waren über 50 Personen, die angekommen waren. Und weitere 50 Personen waren schon zwei Wochen vor Ort. Die ersten drei Tage gab es strikte Stundenpläne. Jeder ging einzeln die verschiedenen Gruppen durch. Immer zehn Personen waren in einer Gruppe und beschäftigten sich mit den verschiedenen Themen. Die Gruppen wechselten täglich, so dass jeder fast 30 Personen in den ersten drei Tagen kennenlernen konnte. Am vierten Tag wurden wir dann auf andere Gruppen verteilt. Immer fünf Neulinge mit fünf „Erfahrenen“ zusammen. Und ab dem sechsten Tag, ja da waren wir wirklich so weit zu wissen was für uns selbst wichtig ist. Seit Jahren habe ich zu den Feiertagen die gelbe Torte zubereitet, da ich dachte für Agustin und die Kinder wäre es wichtig. Und die Torte macht echt viel Arbeit. Die drei essen die Torte zwar gerne, aber einmal im Jahr würde es reichen und an den Feiertagen hätten sie überhaupt keine Lust mehr auf die Torte, da wären immer so viele andere Dinge da. Das ist nur ein kleines Beispiel. Aber die Menge dieser Beispiele hat uns klar gemacht wirklich nachzuhorchen, was uns untereinander wichtig ist.
Die Tage waren angefüllt mit Möglichkeiten. Und jeder konnte selbst aus den verschiedenen Bereichen eine Richtung wählen. Ich habe mich für Gemüsepflanzung in der Lebensmittelerzeugung entschieden. Warum weiß ich nicht, aber es machte mir wirklich Freude. In drei Wochen sieht man noch nicht wirklich viel von den eigenen Pflanzungen. Die ersten grünen Blätter waren aber, bevor wir wieder an unseren alten Standort zurückgekehrt sind, zu sehen. Ich sage unseren alten Standort, denn es ist nicht unser altes Leben. Mir ist klar geworden, dass wir die letzten Jahre einfach nur funktioniert haben, um zu überleben. Wir haben jetzt mit dem neuen Leben begonnen. Genau wie wir, hatten andere Menschen bei uns in der Gegend ihren Treffpunkt. Sie haben hier den Gemeinschaftsgarten gestaltet, die Gemeinschaftsküche angefangen, einfach die Dinge auf den Weg gebracht, wie andere es wieder in ihrer Heimat getan haben. Uns ist klar gemacht worden, das, was wir tun, machen andere Menschen auch für uns. Überall wird eine neue Lebensstruktur aufgebaut, so wie sie für eine gute Zukunft notwendig ist. Wir konnten selbst entscheiden, wie wir die Dinge gestalten wollten – es gab aber viele Informationen vorab, so dass wir – nach gründlichem Hinterfragen in unserem Inneren – wirklich gute Entscheidungen getroffen haben. Nicht perfekt, aber gut. Und das reicht für alles Wichtige.
Ganz interessant war auch die Gestaltung des Gesundheitshauses. Agustin ist ja Arzt und für ihn war es ein ganz besonderes Erleben. Er kam an einem Abend zurück mit einem Strahlen. ‚Ich bin dazu da, damit die Menschen gesund bleiben.‘ Er war so begeistert von der Erkenntnis, dass er schon jetzt die neue Bezeichnung Gesundheitsberater verwendet. In den letzten Jahren hat er einen Fall nach dem anderen erledigt. Zeit für die Menschen, Patienten genannt, gab es nicht. Jetzt arbeitet er im neuen Gesundheitszentrum in unserer Gemeinschaft – ja Ort, Stadt, Gemeinde, Bezirk, diese Begriffe verwenden wir nicht mehr wirklich. Klar der Name bleibt. Wir leben in Solanet aber in der Gemeinschaft Solanet. Unsere direkten Nachbarn waren auch alle an verschiedenen Treffpunkten und für die ist es auch gut gelaufen. Wie das mit der Organisation so gut gelaufen ist, kann ich mir gar nicht erklären. So viele Menschen waren in ganz verschiedenen Gegenden und alles war bei der Rückkehr im guten Zustand. Die Organisatoren haben echt ganze Arbeit geleistet.
Ich hatte ja Angst, dass wir manipuliert werden. Aber bis auf die ersten drei Tage konnten wir ganz alleine entscheiden, welche Wege und Dinge wir ausprobieren wollten. Es gab vor einigen Jahren Aktive, die die ersten Treffpunkte ausprobierten. Durch jeden Fehler entwickelte sich das System weiter. Heute ist ein System – ich mag das Wort nicht mehr, aber mir fällt noch kein neues ein – entstanden, das jedem wirklich die Freiheit lässt.
Am Anfang gab es die Erfassung. Jeder sollte alle Werte, die er besaß und alle Schulden die er hat, aufschreiben. Es war viel, denn auch alte Dinge sollten aufgeführt werden. Erst war ich skeptisch. Aber die Daten wurden direkt vor Ort gespeichert und versiegelt. Von jeder Person gibt es diese Daten und wenn wir zum alten System zurückkehren, dann ist dort die Möglichkeit den alten Zustand abzurufen. Ich möchte aber nicht mehr zurück – auch wenn es jetzt nur einige Monate sind – es lebt sich gut. Alle haben satt zu essen. Jeder bringt sich mit dem, was er gerne tut, in die Gemeinschaft ein – und wir sind eine echte Gemeinschaft geworden. Menschen, denen ich vorher hin und wieder mal begegnet bin, die lerne ich näher kennen. Ohne Scheu, denn die vier Grundregeln haben wir wirklich verinnerlicht. Wie kann so ein Umdenken so schnell passieren? Ich bin genauso, wie vorher, beschäftigt – nur es macht einfach viel mehr Spaß. Ich tue was ich kann oder lernen kann. Die Kinder kommen mit dem neuen System auch gut klar – sie lieben es einen Teil ihrer Lernzeit wirklich praktisch zu erfahren. Sie freuen sich, dass Lernen wirklich Spaß macht. Die Aufgaben sind anders als vor dem Tag des Handelns verteilt. Die Lehrer von vorher haben Möglichkeiten bekommen die neuen Strukturen kennen zu lernen. Bei uns haben fünf von zehn der Lehrern Ihre Aufgabe als Wissensvermittler angetreten. Die anderen sind jetzt für andere Aufgaben mit Freude tätig. Ich bin für die kleinen Kinder im Bereich Garten zuständig. Wir haben einen eigenen Kinderbereich angelegt. Ich erhalte natürlich Unterstützung. So schnell kann man die verschiedenen Möglichkeiten nicht kennen. Aber mit den virtuellen Informationen und dem Fachwissen unserer Gärtner klappt es gut. Wir haben alles, ohne dass Geld fließt. Das war am Anfang auch völlig unverständlich. Aber es funktioniert. Ich bin auf die nächsten Jahre gespannt und wie sich alles entwickelt. Ich grüße dich und deinen Mann. Wir hören voneinander. Sage mir bitte Bescheid, wenn ihr mit dem Treffpunkt dran seid. Ich bin gespannt, wie es euch gefällt und ob ihr auch so eine gute Zeit habt wie wir.
Liebe Grüße Julieta‘
Es war still im Raum. Keiner rührte sich. Ina schaute zu Cosima – es war gut, dass sie ihr von dem Brief vorher nichts gesagt hatte, sie gehörte jetzt zu allen, die gemeinschaftlich ein klein wenig Ahnung davon bekamen wie sich so ein Strukturwechsel anfühlen könnte. Ina lächelte und ihre Cosima lächelte zurück.
In den nächsten Tagen standen immer wieder Menschen zusammen und sprachen über die Briefe. Ina hatte sie über den MyK an alle verteilt, die die Briefe wollten. Mit Ernesto hatte sie auch gesprochen und ihm die Briefe geschickt. Cosima hatte die in einem Innenfutter des dritten Tagebuches entdeckt, nachdem ihr das Buch runtergefallen war.

Bruce– September im 6. Jahr

Nic und Jill waren nun schon zwei Wochen auf dem Schiff. Für seine Kinder war Brain in eine größere Koje gezogen. Und er genoss die Zeit mit den Beiden. Bruce wurde wie ein Onkel behandelt und so saßen die vier abends beim Spielen. Sie lagen vor einer Recyclinginsel. „Ich habe von Recyclinginseln immer gehört, so ganz genau kann ich mir das Prinzip nicht vorstellen!“ Nic schaute über die Reling auf den Hafen. Er unterschied sich nicht von anderen Häfen. Es gab Lagerhallen, Kräne, Container auf der einen Seite, auf der anderen Seite war ein Jachthafen an den Berghängen waren Häuser und öffentliche Plätze.
Ben folgte seinem Blick. „Es gibt mehrere große Bereiche im Meer, in denen sehr viel Müll schwimmt. Der meiste Müll stammt noch vom Anfang des Jahrhunderts. In diesen Bereichen arbeiten wir Meeresrecycler. Ich arbeite, genau wie euer Vater, schon fast 20 Jahre auf diesem Schiff und wir merken, dass die Müllberge weniger werden – es liegen aber noch einige Jahrzehnte Arbeit vor uns, bis wir von einem befreiten und gesunden Meer sprechen können. Die Recyclinginseln liegen alle in erreichbarer Nähe zu den Müllbereichen. Ihr habt gesehen, dass wir heute die Ausbeute der letzten zwei Wochen hier abgeliefert haben. Soweit ist es euch bekannt.
Also die Recyclinginseln bestehen aus drei Bereichen.
Zum einen den Arbeitsbereich, in dem der von uns angelieferte Müll sortiert und gesäubert wird. Es gibt unendlich viele Varianten, erfahrene Recycler erkennen die Grundsorten an ganz vielen Komponenten. Die Inseln dienen auch dazu gewalttätige Menschen aufzunehmen, um Gefahr für andere Menschen zu minimieren. Hier leisten sie in geschlossenen Bereichen Sortierarbeiten. Sie haben, wie andere Menschen auch, ihre privaten Räume. Und sie werden begleitet. Einige Menschenbetreuer haben sich mit den Problemen von Mördern und Menschen, die die Grenzen der anderen massiv überschreiten, beschäftigt. Sie helfen ihnen die eigenen Beweggründe zu erkennen und damit klar zu kommen. Einige wenige schaffen den Weg zurück in ein normales Leben. Viele dieser Menschen sind aber dankbar, dass sie keine Gefahr mehr für andere sind. Sie haben alles, was Menschen benötigen, um zufrieden zu leben - außer der Freiheit den Aufenthaltsort selbst zu bestimmen. Ihre Familien können sie ab und zu besuchen und einige Familienmitglieder bleiben auch ganz auf der Insel. Im dritten Bereich findet das Leben wie überall anders auch statt. Die Menschen wohnen und leben hier, erzeugen ihre Lebensmittel und arbeiten in den verschiedenen Bereichen.
Die Sortierbereiche befinden sich in Gebieten, die weder Pflanzen noch Tieren einen wirklichen Lebensraum bieten. Auf größeren Inseln werden die durch das Sortieren gewonnenen Rohstoffe auch gleich weiterverarbeitet.“
„Jetzt hast du einen richtigen Vortrag gehalten, Bruce.“ Jill grinste ihn an. „Aber jetzt verstehe ich es etwas besser. Warum gibt es diese Verbrecher überhaupt. Die können doch auch friedlich mit den anderen zusammenleben!“ „Tja!“ Brain räusperte sich „Im Leben läuft nicht immer alles so, wie man es wünscht. Ich verstehe heute, dass es für Mama kein Leben mit mir war, da ich so viel unterwegs bin. Als ich begriffen habe, dass es nicht funktionieren kann, hat Bruce immer für mich Zeit gehabt. Wir haben immer wieder geredet und er konnte mir aufzeigen, dass auch seine Schwester sich kein Leben an der Seite eines Meeresrecycler vorstellen könnte. Und auch, dass ihm einige Freundinnen ganz schnell den Rücken gekehrt haben, als sie merkten, welchen Beruf er hat. Der Beruf selbst war nicht das Problem, es war diese monatelange Abwesenheit. Dieses alleine, für mögliche Kinder, da sein müssen. Dieses nichts gemeinsam unternehmen zu können wie die anderen Paare in der Gemeinschaft.“ Er sah seine Kinder an. „Bruce hat mich aufgefangen, er stand mir zur Seite und er hat mir geholfen meine Gedanken und Gefühle neu zu sortieren. Nicht jeder Mensch hat so einen Freund, der einfach da ist. Und dann wird in der ersten Wut reagiert. Den meisten tut es hinterher leid, nur dann ist es zu spät. Dann lebt der geliebte Partner nicht mehr und die Beziehung kann sich nicht mehr wandeln. In einen neutralen Umgang miteinander für die Kinder, denn Vater und Mutter bleibt man auch nach einer Trennung. In ein neutrales Umgehen miteinander. Solche Wandlungen brauchen Zeit.“ „Hattest du Wut auf Mama, hättest du ihr was antuen können, wenn du Bruce nicht gehabt hättest?“ Nic sah seinen Vater erschrocken an. „Ich glaube mehr als Beschimpfungen und Nickeligkeiten wären nicht gekommen. Aber kein Mensch kann das garantieren. Erst nach einer solchen Situation kann man sagen, wie man reagiert, wenn die eigene heile Welt zusammenbricht.
Es sind jetzt über 10 Jahre vergangen. Ich liebe euch beide und ich liebe meinen Beruf. Es ist schön, dass ihr hier euer Praktikum macht. Wenn es aber irgendwann soweit ist, dass ihr einen Menschen findet, mit dem ihr gemeinsam leben wollt, dann solltet ihr euch im Klaren sein, dass es als Meeresrecycler schwierig ist in einer Beziehung zu leben. Besonders wenn dann Kinder kommen. Auf einem Recycler können keine Kinder auf Dauer leben. Mal für eine Woche, das mag gehen, aber ansonsten gibt es hier viel zu viele Unwägbarkeiten. Unser Kumpel Crisstian hat Glück, seine Frau lebt hier auf der Recyclinginsel, gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern. Da funktioniert es – wir laufen die Insel mindestens einmal im Monat für zwei Tage an.“ Nach einer kurzen Pause sagte er „Ich habe eure Mama so lieb, dass ich ihr alles Glück der Welt wünsche. Ihr lebt mit ihr und Knut ein gutes Leben, und ich wünsche ihr und euch allen, dass es so bleibt. Dieser Recycler ist mein Lebensraum und mein Lebenstraum, ich liebe das Meer und ich freue mich über jeden Müll, der aus dem Meer rausgefischt wird.
In einigen Tagen kommen wir an einem Riff vorbei. Ich habe Bilder, die ich vor über 15 Jahren dort gemacht habe und ich habe Bilder, die vor über 30 Jahren gemacht wurden. Und wenn ich mir das Riff heute ansehe, dann weiß ich, meine Arbeit macht Sinn.“

Ben– Oktober im 6. Jahr

„Ken ist da!“ Beatrice hopste auf der Straße auf und ab. Es war ein schöner Tag. Überall leuchteten die Blätter in den schönsten Farben. Sie war mit den anderen Kindern durch dieses Blättermeer gelaufen. Lebensfreude pur. Carol stand auf der Veranda und nun sah sie auch das Mobil des großen Gesundheitshauses. Als Ken ausstieg waren fast alle versammelt. Nellie hatte sich hinzugesellt und auch ihre Mutter kam aus der Gemeinschaftsküche, und hinter ihr die größeren Kinder. Heute gab es für die Fünfjährigen gelebtes Pflanzenwissen mit anschließender Suppenzubereitung. Carol hatte dieses Fach früher immer geliebt. Das war schon einige Jahre her.
Ken hob Beatrice hoch. Die wollte sich gar nicht beruhigen. Für so ein kleines Mädchen waren die letzten Monate auch eine lange Zeit gewesen.
Abends saßen die Freunde zusammen. Beatrice lag schon lange in ihrem Bett. „So, jetzt erzähle mal wie es im großen Gesundheitshaus ist. Das muss ja riesig sein und auf dem MyK habe ich gesehen, dass dort ganz viele Menschen rein und raus gehen.“ Ben schaute Ken genauso interessiert an wie Timothy und Carol. „Ja, riesig ist es. Ich habe erst mal einige Wochen gebraucht um einigermaßen alle Wege zu finden. Inzwischen weiß ich, dass es gut ist auch ein paar so große Gesundheitshäuser zu betreiben. Es gibt gesundheitliche Probleme, darüber vorher hatte ich keine konkreten Vorstellungen. Aber für viele Menschen können wir gerade in den großen Häusern viel mehr tun.“ Ken dachte nach: „Vor drei Wochen kam ein Mann mit ganz unförmigen Beinen. Er leidet an einer Erkrankung, die Schubweise die Beine verändern. Mit ganz bestimmten Massagen und Wickelungen minimieren sich die Beschwerden und eine besondere Spritztechnik sorgt für die Eindämmung der Schübe. Er kommt ungefähr alle zwei Jahre, um sich von besonders geschulten Gesundheitsberatern diese Spritzen setzen zu lassen. Es gibt ca. 300 Menschen im Umkreis von 1000 Kilometern, die mit dieser Spritztechnik Erleichterung erfahren. Und da ist es in so einem großen Gesundheitshaus einfacher, die entsprechende Erfahrung zu sammeln und weiterzugeben, als in einem kleinen Gesundheitshaus, in dem es evtl. gerade mal einen Kunden mit diesen Beschwerden gibt.
Für mich ist es auf jeden Fall dort interessant: Wie häufig ist hier eine Operation erforderlich? Meistens reichen Hilfestellungen und unterstützende Maßnahmen wie Akkupunktur, Massagen, Gymnastik oder Eispackungen, Wickel, Kräuter und Tees. Die Erkrankung an wirklich bedrohlichen Beschwerden ist durch die vielen Früherkennungsmaßnahmen und das gute Leben rapide zurückgegangen. Vor nicht mal 50 Jahren waren Herz- Kreislaufprobleme ebenso wie Tumorerkrankungen tägliche Praxis. Heute gibt es immer noch sehr schwere Schicksale – diese sind, laut den neusten Studien, bedeutend seltener. Irgendwo hieß es, wenn es damals einen von 100 getroffen hat, dann ist es heute noch einer von 1000. Der größte Unterschied scheint wohl die Ernährung zu sein. Heute haben alle Menschen die Möglichkeit eine frische und gesunde Mahlzeit in Gemeinschaft zu sich zu nehmen. Das scheint damals anders gewesen zu sein.“ Ben sah Ken begeistert an „Dir scheint es ja richtig Freude zu machen?“ „Ja“, Ken strahlte „es ist echt das Größte, wenn es einem Menschen nach der Behandlung besser geht. Es gibt die schweren Tage, wenn alles Wissen nicht wieder zu Gesundheit verhelfen kann. Aber auch diese Situationen haben etwas Gutes. Die Familien und Freunde begleiten den wirklich kranken Menschen. Es wird all das getan, was dem Kranken gut tut. Letzte Woche kam eine 54 Jahre alte Frau zu uns. Ihre Tochter hatte sie begleitet. Nach der Versorgung brachten wir die Frau mit ihrer Familie in das Übergangszimmer. Die beiden Enkelkinder spielten in der Ecke, die Kinder erzählten von all den Dingen, die im Laufe des Lebens dieser Frau wichtig waren. Sie selbst gab den einen oder anderen Kommentar auch noch zu diesen Situationen hinzu. Alle wussten, sie konnte es nicht überleben – aber alle waren da und es war eine wirklich gute Atmosphäre. Sie wurde im Laufe von zwei Tagen immer schwächer und schlief dann im Kreise ihrer Lieben friedlich ein. Die Kinder und Enkel verabschiedeten sich. Halt so wie wir es auch kennen von unserem Gesundheitshaus hier. Sie wohnten in der Nähe und so war es für die Familie am Einfachsten.“ Er holte einmal tief Luft. „ Es geht aber nichts gegen dieses Gefühl wirklich helfen zu können. Ich weiß inzwischen, es ist meine Lebensaufgabe. Ich möchte später auch reisen. Überall gibt es leicht variierende Heilungsmöglichkeiten. Wir haben einen Gesundheitsberater, der von Chile gestartet ist. Er ist mit der Ausbildung seit drei Jahren fertig und wechselt jedes Vierteljahr das Gesundheitshaus in dem er tätig ist. Er kann echt Geschichten erzählen. Ich werde mich auch in die Organisationsliste der reisenden Gesundheitsberater eintragen, wenn ich in drei Jahren fertig bin. Das ist total spannend.“ Sie wussten schon lange, dass Heilen Kens Berufung war. Nur diese Begeisterung hatten sie nicht erwartet. „Wenn ich nur wüsste, worin ich so aufgehen könnte wie ihr? Du liebst das Heilen, Timothy kocht mit Leidenschaft und du Ben, du gehst in deinem Sport auf und du liebst es die Kinder zu trainieren. Ich habe nun schon so viele Dinge ausprobiert und das Bewältigen der verschiedenen Aufgaben macht irgendwo auch Spaß. Ich kann mir keine dieser Aufgaben dauerhaft vorstellen.“
„Das musst du doch auch nicht. Du bist doch überall gerne gesehen, wenn du dich für Aufgaben einteilst. Du bist überall gerne gesehen und Momentan willst du ja einfach nur das Leben genießen. Das Leben mit Beatrice, das gemeinschaftliche Arbeiten im Garten, in der Gemeinschaftsküche, beim Reparaturservice, bei der Betreuung der kleinen und großen Menschen die Hilfe benötigen.“ Ben machte eine kurze Pause. „Du hast doch alle Zeit deine Leidenschaft für einen Aufgabenbereich zu entdecken. Und es gibt viele Menschen, die packen mit an und sind erst mal einfach nur zufrieden in der Gemeinschaft. Erinnere dich an Timothys Vater. Er war immer aktiv und erst vor fünf Jahren wusste er, seine Berufung sei das Instandhalten der MyKs. Zu dem Zeitpunkt hat er die nötige Erfahrung gehabt, um diese privaten Begleiter mit dem nötigen Respekt zu behandeln. Vorher wäre er viel zu neugierig gewesen, was andere in die privaten Bereiche speichern. Und er hätte die Prüfungen für diese sensible Aufgabe nicht geschafft.“
„Ja, seitdem ist Papa wie ausgewechselt. Er war immer zufrieden, aber seitdem ist er einfach nur glücklich, wenn er wieder eine Aufgabe bewältigen darf. Und wenn nur ein paar Schräubchen locker sind. Besonders bei den älteren Modellen, die schon über 30 Jahre alt sind kommt das mal vor.“ „Na gut, dann habe ich noch etwas Geduld, bis ich meine Berufung finde. Ich werde auf jeden Fall noch ganz viel ausprobieren. Je früher ich weiß, was mir besonders gefällt, desto eher habe ich dann auch dieses Glitzern in den Augen, wenn ich zur Arbeit gehe.“

Ramona – Januar im 7. Jahr

Ramonas Vater würde spät von seiner Arbeit heimkommen. Er hatte vor sechs Stunden eine kurze Nachricht auf ihren MyK gesprochen. Hendrik hatte mit ihr gemeinsam das Essen zubereitet. Ihre Mutter war erst am späten Abend zurück zu erwarten. Eine Besuchergruppe aus China war gestern angereist. Hendrik und Ramona entschieden, die weitere Zubereitung der Mahlzeit zu verschieben. Dann, wenn alle da waren. Sie nahmen sich jeder einen Apfel und gingen zur Energiegewinnung. „Ich habe mich für 15 Stunden diese Woche eingetragen und wenn es sowieso dauert bis die beiden zurückkommen, dann kann ich mich auf jeden Fall auspowern.“ Hendrik war inzwischen 18 Jahre und liebte es sich zu fordern. Ramona nickte. „ Dann gehe ich heute mit, ich hatte mich noch nicht für die letzten drei Wochenstunden entschieden. Da kann ich die Energiegewinnung ja mal ausprobieren. Nebenher ist es sicher gut, wenn ich auch etwas trainiert bin, wenn ich die Sportler in drei Jahren begleite.“ Ramona sah aber vollständig fit aus. Hendrik betrachtete seine dunkelblonde Schwester wohlwollend. Im Energiestudio waren, wie erwartet genug Plätze frei. Um die Zeit trafen sich viele zum gemeinsamen Essenssen. Ramonas und Hendriks Eltern hatten gesagt, sie würden gerne mal wieder alleine mit ihren Kindern essen. Naja, mit den Aufgaben lief manchmal einiges anders. Obwohl, ihr Vater arbeitete selten zu ungeplanten Zeiten. Er würde nachher sicherlich Spannendes zu erzählen haben.
Hendrik begann mit dem Rad und Ramona benutze das Laufband nach dem Aufwärmen. Vier Stunden später hatten sie den Energiespeicher aufgefüllt, geduscht und saßen gemeinsam mit den Eltern am Tisch. Der Vater hatte heute eine der seltenen Ortungsaufgaben gehabt. „ Das Mädchen hatte sich im Wald verlaufen. Mutterseelenalleine war sie unterwegs. Die Eltern hatten überall in der Nachbarschaft nachgehört und einer der Nachbarn glaubte einen roten Anzug in der Nähe des Waldes gesehen zu haben. Acht Jahre ist die Kleine. Seit einem halben Jahr hat sie ihren MyK und die Eltern haben das Ortungssignal freischalten lassen. Das ist gar nicht so einfach, nur weil Gefahr in Verzug war gab es die Sondergenehmigung. Jedes Elternteil musste über den eigenen MyK nach der Genehmigung die Daten freischalten.“ Der Vater war noch richtig aufgeregt. „Wir hatten erst letzte Woche Meldung erhalten, dass das Wolfsrudel wahrscheinlich in dieser Woche durch unsere Wälder ziehen wird. Aber es ist alles gut gegangen. Das Mädchen haben wir in einer kleinen Höhle in der Nähe den verwachsenen Eichen gefunden. Ohne das Signal wären wir sicher vorbeigelaufen. Die hatte sich einfach zusammengerollt und war eingeschlafen. Ich darf mir gar nicht vorstellen, wie es ohne MyK abgelaufen wäre.“ Lange hatten sie ihren Vater nicht mehr so erleichtert gesehen. Manche Menschen nutzten ihren MyK dauernd, die meisten sahen ihn einfach als Begleiter, der im Fall der Fälle alle nötigen Informationen lieferte und natürlich auch Unterhaltung. Wie oft hatten sie gemeinsam mit Freunden im Wald mit einem MyK Tiergeräusche abgespielt und manchmal waren sogar Tiere ganz nahe herangekommen. Das wurde mit den anderen MyK gefilmt oder fotografiert. Hendrik erzählte in diesem Moment aber lieber nichts davon. Und es sollte ein paar Menschen geben, die dauernd den MyK nutzen – nicht zur Arbeit, sondern einfach zur Beschäftigung. Er verstand das nicht, aber wenn jeder seinen Beitrag für die Gemeinschaft leistete, dann war es auch völlig in Ordnung.

Omar – Februar im 7. Jahr

Omar war unterwegs zum Olympischen Zirkel. Vor einigen Monaten hatte er nachgefragt, wo sein Enkel bei den Olympischen Spielen teilnehmen könnte.
Gleich würde er mit Murad und seiner Tochter weiterfahren. Sein Kamel würde bei Freunden versorgt werden. Sie fuhren mit dem Schienenmobil weiter. Anbar hatte einen Picknickkorb gepackt und sie genossen die Fahrt. Sie hatten noch drei Stunden vor sich und breiteten ihr Picknick aus. Die anderen Fahrgäste machten es genauso und so war im ganzen Abteil eine fröhliche Stimmung. Es gab noch einige Kinder, man musste wohl sagen Jugendliche in Murads Alter. Murad war vor zwei Wochen 16 geworden.
Die Jugendlichen hatten es sich an einem anderen Tisch gemütlich gemacht und die Eltern eines seiner neuen Kumpel hatten sich zu Omar und Anbar gesetzt.
Jeder nahm von dem, was ihm gerade besonders gefiel. Es war für alle genug da und die Stunden vergingen im Flug. Alle hatten die Kontakte in den MyKs ausgetauscht.
Und nun standen sie im großen Gebäude des Sportorganisationszentrums.
Ein junger Mann kam auf sie zu. Er hatte auf sie gewartet und brachte sie direkt zum Olympischen Zirkel.
Alle waren nett gewesen. Murad hatte die freie Auswahl ob er in der Gruppe mit oder in der ohne Handicap laufen wolle. Dies solle er mit seinem Trainer besprechen. Erst in diesem Moment wurde den dreien bewusst, dass sie wirklich zu den Olympischen Spielen wollten – insbesondere Murad. Er hatte bisher keinen Trainer. Er hatte an verschiedenen Wettkämpfen teilgenommen und viele Rennen gewonnen, auch vor Olympiateilnehmer. Durch sein Handicap war er nicht wirklich in den olympischen Kreis aufgenommen worden – es hatte keiner gefragt.
Nach dem Gespräch war alles anders. Murad wurde ein geeigneter Trainer zur Seite gestellt. Ein ehemaliger 1500 m – Läufer. Er würde mitfahren und in der Oase für einige Wochen Murad all das beibringen, was für einen wirklich guten Läufer notwendig war. Murad würde dann auch im Sportzentrum wochenweise Trainingseinheiten erhalten.
Omar hatte nun eine neue Aufgabe. Er würde bei der Koordination der Wettbewerbe der Menschen mit und ohne Handicap helfen. So hatte er auf jeden Fall die Möglichkeit Murad zu begleiten. Er würde auch Ansprechperson für alle Unsicheren sein. Denn die Unterscheidung ob ein Handicap unwichtig für den Wettbewerb ist oder nicht war manchmal recht schwer. Omar hatte sich in den letzten Monaten für seinen Enkel informiert und konnte die Suchenden aus der eigenen Erfahrung heraus zur passenden Lösung begleiten. Er hatte kurz mit seiner Zarah gesprochen. Sie war einverstanden, wenn sie dann auch mit zu den Olympischen Spielen durfte – besonders da ihr Enkel dabei sei. Also das war geregelt. Anbar hatte auch ein Freiticket für sich und ihren Mann bekommen.

Ina – Januar im 8. Jahr

Viele Menschen verfolgten gespannt die Auslosung für die Olympischen Spiele in drei Jahren. Per Losverfahren wurde aus allen Interessenten gewählt. Es gab ein gewisses Kontingent pro Personenzahl und die Chancen waren gering. Es war aber für die meisten in Ordnung, wenn sie die Olympischen Spiele in den Gemeinschaften verfolgen konnten.
Ina und Cosima waren mit Justin und seiner Freundin unterwegs. Er war jetzt 20 Jahre und betätigte sich als Menschenbetreuer und Gastgeber. In seiner Gemeinschaft hatte er für beide Tätigkeiten Zeit reserviert.
Die vier saßen gemütlich am Hafen. Inas MyK machte sich bemerkbar. „Hoffentlich geht es Zuhause allen gut!“ Sie schreckte auf. Cosima sah wie sich auf Inas Gesicht ein Lächeln breit machte. „Fährst du mit mir in die Mongolei?“ „Wirklich, wir sind dabei, mein Schatz?“ Justin und seine Freundin umarmten die beiden und die Menschen um sie herum freuten sich mit ihnen. Es gab immer nur begrenzte Karten und alle freuten sich auf die Informationen, die direkte Zuschauer in die Gemeinschaft senden würden. Da gab es dann Bilder, die einfach anders gezeigt werden konnten. Von Menschen aus der eigenen Gemeinschaft.
Inas Eltern und Geschwister wurden auch sofort informiert. „Dass du immer reisen musst. Aber mit Cosima zusammen wirst du wieder nach Hause gehen und nicht über Jahre unterwegs sein!“ Inas Mutter antwortete begeistert mit einem „JJJJAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!“ als Cosima „Wir werden auf dem Rückweg einfach einen kleinen Umweg machen. Sind wir willkommen?“ einwarf.

Keiko – Januar im 8. Jahr

Keiko spielte mit den Kindern im Gemeinschaftsgarten. Takumi bereitete mit anderen das Mittagessen in der Gemeinschaftsküche. So einen sonnigen Sonntag hatten sie schon lange nicht mehr erlebt. Das Wetter war schon seit Wochen sommerlich. Sonntags gab es in diesem Jahr aber die meisten Regenschauer. Sie waren nicht alleine. Ihre Eltern hatten sich zu ihnen gesellt, ebenso Keikos Schwester mit ihrer Familie. Am besten war, dass Takumis Eltern gleich mit seiner Schwester Sayuri zu Besuch kommen würden. Seit dem Erdbeben hatte es noch nicht geklappt. Die Schwester hatte lange gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Takumi war mit seinen Lieben einige Male zu seiner Familie gefahren, jetzt freuten sich alle auf eine schöne gemeinsame Zeit. Takumi bereitete seine Abwandlung von Sushi vor. Es gab heute ein großes Sushi-Büfett mit ganz vielen Variationen.
Das Mobil hielt in dem Moment, als der Tischgong erklang. Die Begrüßung fiel kurz aus, keiner störte sich daran, sie hatten ja noch den ganzen Tag Zeit und die nächsten Tage auch noch.
„Wie weit sind bei euch die Aufbauarbeiten?“ Takumi saß mit der ganzen Familie im Pavillon. Die Eltern nickten ihrer Tochter zu, als diese die Lage erklärte. „Alles was wichtig ist, funktioniert wieder. Das wurde vor zwei Jahren schnell wieder hergestellt. Jeder fühlt sich verantwortlich, dass es funktioniert. Das ist ein gutes Gefühl.“ Sayuri machte eine kleine Pause. „Die Produktion ist seit gut sechs Monaten wieder auf dem normalen Stand. Ich selbst habe ja fast ein Jahr gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Denen sieht man jetzt nicht mehr an, dass sie mehrfach gebrochen waren. Am MyK hatte ich ja schon erzählt, dass ich mich neu orientieren musste. Das viele Stehen und Tragen funktioniert nicht mehr, die Beine machen das nicht mit. Ich habe es immer geliebt, Menschen zu helfen. Besonders den Alten und den Menschen in besonderen Lebenslagen. In meiner Zeit im Heilungshaus, habe ich die andere Seite kennengelernt. Alle waren gut zu uns. So wie ich es auch immer versucht habe. Es fehlte immer nur ein bisschen, um mich so gut wie möglich zu fühlen. Für die Menschenbetreuer war die Situation aber auch extrem. Viele hatten selbst Familienmitglieder verloren oder auch Sorgen um die Familienmitglieder und Freunde mit schweren Verletzungen. In der Zeit wurde mir klar, dass es wichtig ist, für die Menschenbetreuer etwas zu tun. Ich habe einen Plan vorgestellt, in dem alle Menschenbetreuer jährlich eine Woche verwöhnt werden. Das gibt es schon in vielen Orten, nur bei uns wurde es nie zu Ende gedacht. Wir waren ja zufrieden und hatten uns unseren Beruf ausgesucht. Ich organisiere jetzt diese Verwöhnwochen. Vor zwei Monaten sind wir gestartet und die Menschenbetreuer haben sich bedankt. Klar kann ich es nachvollziehen. Die ganze Zeit kümmern wir uns um alle Menschen - mit einer großen Freude, und in dem Wissen, dass es einfach gut tut in gewissen Situationen liebevoll versorgt zu werden. Uns selbst ist das dann schon manchmal komisch, verwöhnt zu werden. Das ist mir während der Gesundung besonders aufgefallen. Nach der Verwöhnwoche stehen die Menschenbetreuer ganz anders da. Sie fühlen sich wohler, auch mal die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen.“ Sayuri machte eine kleine Pause. „Seit sie das Projekt betreut, ist sie wieder voller Tatendrang. Es war manchmal schwierig mit ihr. Sayuri kann viele Dinge durch die schweren Verletzungen nicht mehr verrichten. Die ganze Familie ist dankbar, dass wir alle überlebt haben. Ich freue mich, dass sie eine neue Berufung gefunden hat.“ Die Mutter lächelt ihrer Tochter zu.
Die Woche war schnell vergangen. Sayuri freute sich auf ihre Familie und auf die Arbeit. Sie hatten alle drei die Ruhe genossen. Sayuri´Mann war mit den beiden Kindern in der Zeit zu seinen Eltern gefahren. Seine Verletzungen waren, ebenso wie die der Tochter, schnell verheilt.
„Es war schön, dass deine Schwester und deine Eltern zu Besuch waren.“ Keiko lag neben Ihrem Mann auf den Matten und schaute in die Sterne. Es war ein wunderschöner Abend. Die Kinder lagen in den Betten und auf der Terrasse brannten nur einige Kerzen.
Auf einmal hörte sie ein Geräusch aus dem Wohnraum. Ihr MyK hatte eine neue Nachricht. Takumi wollte aufstehen. „Bleib hier, deine Eltern hatten sich schon gemeldet und es kann nichts wirklich Wichtiges sein – sonst wäre es ein Anruf.“
Nach dem Frühstück schaute Keiko auf ihren MyK – sie hatte zwei Lose für die Olympischen Spiele. Takumi freute sich für sie. „Wen nimmst du mit, wenn du zu den Spielen reist?“ fragte er Keiko. „Dich brauche ich ja nicht zu fragen, dir reicht es ja, wenn du dir die eine oder andere Disziplin am MyK anschaust. Meine Schwester hat auch keine Lust und meine Eltern lassen sich beide nicht begeistern.“ Keiko hatte ein Problem. Sportliche Großereignisse interessierten den Rest der Familie wenig. „Sayuri!“ Keiko lachte. „Hatte sie nicht davon gesprochen, dass sie sich auch für Karten gemeldet hatte.“ Takumi nickte. Keine zwanzig Minuten später berichtete seine Mutter von Sayuri´ Freude. Sie muss wohl alle angerufen haben. Keiko freute sich auf die gemeinsame Zeit, sie waren ca. sechs Wochen unterwegs. Gar so weit war es nicht und vier Wochen Aufenthalt in der Mongolei waren sicherlich spannend. Ihr Mann und ihre Eltern sorgten für die Kinder und den Betrieb. Sie selbst würde bis dahin genug Stunden vorarbeiten, um wirklich sechs Wochen nur punktuell zu arbeiten. Bei Sayuri war es ähnlich. Die Kinder blieben beim Vater und den Großeltern. Anschließend würden sie sich alle treffen.
Beide Frauen freuten sich auf die Spiele – sie waren auch die einzigen wirklich Begeisterten in der Familie.
Es waren ja noch drei Jahre bis zu den Spielen. Sie konnten sich mit den anderen Glücklichen austauschen, denn alle Besucher waren über die Besucherseite vernetzt.

Bruce – März im 8. Jahr

Bruce hatte Wache. Die Nacht war lau und er beobachtete die Sterne am klaren Himmel. Eine harte Woche war vorüber. In den ersten Tagen wurden sie gut durchgeschüttelt und nass, doch der Sturm hatte sich seit gestern gelegt.
Nic und Jill waren nun schon vier Wochen wieder zuhause. Die beiden hatten sich schnell eingelebt und nach ihrem Praktikum schätzten sie den Beitrag, den ihr Vater für die Gemeinschaft leistete. Jill wollte versuchen, ob sie einen Ausbildungsplatz auf dem Schiff bekam. Nic wollte noch ein Praktikum zum Haldenrecycler machen. Auf eine der Recyclinginseln waren sie mit einer Frau in seinem Alter ins Gespräch gekommen. Sie war für Haldengrabungen zuständig.
Nic hatte aufgehorcht, als die Frau von ihrer Arbeit als Haldenrecyclerin erzählte. Wie sie Dinge ans Tageslicht beförderte, von denen sie im ersten Moment gar nicht wusste, wofür diese gut waren. Viel Plastikmaterial, aber auch ganz viele verarbeitete seltene Rohstoffe die z. B. für die Herstellung der MyKs oder auch gesundheitsfördernde Geräte gebraucht wurden. Es war eine schöne Zeit mit den beiden gewesen.
Irgendetwas stimmte mit dem Horizont nicht. Er schaute genauer hin. Da bewegte sich etwas anders. Wale und Delphine bewegten sich definitiv eleganter.
Er ließ die Signallampe einige Male leuchten und beobachtete den Horizont. Die Antwort waren SOS – Signale. Nach dem Läuten der Glocke stand die gesamte Mannschaft innerhalb einer Minute neben ihm. Sie näherten sich vorsichtig dem Solarschiff. Was konnte passiert sein, die Solarschiffe waren absolut robust und autark.
Zwei Stunden später waren drei Schiffbrüchige an Bord. Und das Solarschiff lag an der Kette.
„Danke nochmals“, die zwei Frauen und der Mann waren noch ganz aufgelöst. „Wenn Sie nicht gewesen wären, hätten wir keine Chance gehabt.“ Die drei hatten von einem Zusammenstoß mit einem riesigen Felsen erzählt. Sie waren zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt von einem schweren Sturm vom Ankerplatz weggerissen worden. Die Mannschaft war an Land gegangen, um die Vorräte aufzufüllen. Sie hätten mit zwei weiteren Personen die Ruhe an Bord genossen. Die drei hatten Glück gehabt, sie wurden durch den Wind die Treppe hinunterbefördert. Die beiden anderen waren wohl von Bord geschleudert worden. Mit einem riesigen Knall war das Schiff vom Anker abgerissen worden und sie waren mindestens vier Tage mit dem Schiff unterwegs gewesen. Alle drei hatten keine Ahnung von der Führung eines Schiffes und besonders die Wasservorräte waren sehr knapp. „Ich denke immer noch mit Grauen an die erste Nacht. Die See war so wild und wir sind erst am nächsten Mittag wieder an Deck gegangen. Mein Mann war nicht mehr da. Ich hoffe er ist irgendwo gesund gestrandet und hat dort Menschen getroffen, die ihm helfen. Ich will mir keine Gedanken machen, dass ihm wirklich das Schlimmste passiert ist.“ Frau Stioni wusste immer noch nicht, wie sie sich fühlte. Sie war eine der Erdmentoren und auf der Reise nach Neuseeland. Sie schien etwas über 60 Jahre zu sein und strahlte, trotz der für sie sehr schlimmen Situation, eine innere Ruhe aus. Ihre Begleiter waren Bezirksmentoren, die sie zu den Inseln begleitet hatten.
Am späten Nachmittag hatten sie Kontakt mit Neuseeland aufgenommen. Der Sturm war wie aus dem nichts einfach dagewesen. Es gab keine Warnmeldungen. Der Sturm war da und alle konnten von Glück reden, dass so wenig passiert war. Es hatten sich einige Schiffe aus der Verankerung gelöst. Bis auf das Solarschiff waren aber alle Fahrzeuge innerhalb eines Tages gesichert worden. Herr Stioni hatte seine Frau und die anderen Passagiere als vermisst gemeldet. Von der zentralen Notstelle war die Suche erfolglos verlaufen. Das Schiff war extrem abgetrieben worden.
Die MyKs waren alle ausgefallen. Ebenso waren die Bordsignale ausgefallen - alles sehr ungewöhnlich. Normalerweise waren die MyKs völlig unempfindlich und auch die Bordgeräte hätten im Normalfall Signale gesendet. Die Untersuchungen würden einige Zeit in Anspruch nehmen.
Zwei Wochen später fuhr der Meeresrecycler mit dem Solarschiff im Schlepptau und den drei Passagieren in Neuseeland ein. Frau Stioni war glücklich ihren Mann in die Arme zu schließen. Sie wollten noch zwei Tage den Schaden vor Ort begutachten und mit diesen Ergebnissen weitere Gefahrenquellen für die Schifffahrt minimieren. Es grenzte an ein Wunder, dass es keine Toten gab. Einige Menschen waren mit schweren Knochenbrüchen in Behandlung und die ein oder andere Verletzung war versorgt worden.
Die Menschen vor Ort waren froh über die geringen Schäden. Die Natur war sanft mit ihnen umgegangen – Bruce hatte schon schlimmere Situationen an Bord meistern müssen. Sie verabschiedeten sich nach drei Tagen, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen.
Vier Wochen später kam der Kapitän überraschend schnell wieder an Deck. „Leute, wer möchte bei den Olympischen Spielen in zwei Jahren dabei sein?“ Brain schüttelte den Kopf. „Kapitän, wie kommst du jetzt auf so eine Frage? Wie soll das gehen, die Verlosung ist doch schon gelaufen!“
„Erinnert ihr euch noch an das Solarschiff mit der Erdmentorin?“ Da nickten alle von der Mannschaft. „Ja, Frau Stioni hat mir vorhin eine Einladung für die ganze Mannschaft geschickt. Ohne unsere Hilfe wären die Zusammenhänge mit dem Sturm kaum zu klären gewesen. Und sie und ihre Begleitung hätten es wohl nicht überlebt, da sie keinerlei Kontakt aufbauen konnten.“

Ramona – März im 8. Jahr

Ramona saß mit ihren Büchern im Gemeinschaftsgarten. Die anderen bereiteten die Beete für das Frühjahr vor. Die Märzsonne hatte schon wirklich Kraft. Vor zwei Wochen hatte es noch starken Nachtfrost gegeben und seit der letzten Woche schien die Sonne nur von ein paar wenigen Regengüssen unterbrochen. Das erste Saatgut war in der Erde und in den nächsten Wochen würde Beet für Beet bestückt. Im Anzuchtraum standen schon viele Pflanzen. Ramona freute sich wie die anderen auf die ersten frischen Radieschen aus dem überdachten Beet.
Von der Straße her kamen ungewohnte Geräusche. Alle horchten auf. Aufregung pur. Ramonas Mutter lief in der Mitte der Menschentraube und alle redeten auf sie ein. Mit einem Satz war Ramona aufgesprungen. Ihre Mutter war richtig aufgeregt und angespannt.
„So, jetzt lasst uns einen Moment in Ruhe reden. Ich habe gleich Zeit, um alles zu erzählen. Erst ist aber meine Tochter dran!“ Die beiden setzten sich abseits in die Gartenlaube. Ramona schaute ihre Mutter irritiert an. „Was ist los?“ „Ramona, ich bin als Erdmentorin gezogen worden.“ Ramonas Kinnlade rutschte runter. „Einfach so und ich bin auch gespannt auf diese Aufgabe – nur ich werde in den nächsten fünf Jahren so viel unterwegs sein, dass mich das ganz unsicher macht. Papa kann ja mit mir reisen, aber ihr beiden seid ja auch bald erwachsen und, ja und ich weiß nicht wie das alles gehen soll.“ „Erdmentorin, WOW!“ Ramona war baff. „Erdenmentoren werden doch nur die Menschen, die einen absolut guten Ruf haben, die sich immer in jeder Lage für das Miteinander eingesetzt haben. Mama, du bist klasse. Es ist doch toll. Und du bist einfach so gezogen worden. Wie viele Menschen sind in dem Topf – hunderte ach was tausende. Es gibt doch nur 40 Erdenmentoren pro Aufgabenperiode.“ Ramona konnte es nicht begreifen, aber sie schaute stolz auf ihre Mutter. Als Gemeinschaftsmentorin war sie vor 10 Jahren unterwegs gewesen, das war aber alles überschaubar. Meistens war sie abends zuhause. Und sie und ihr Bruder waren damals ja auch noch Kinder. Inzwischen war sie 17 Jahre. Und ihr Bruder war 20 Jahre. „Mama, das bekommen wir hin. Oma und Onkel Daniel sind doch auch noch da. Im Übrigen werde ich ja auch viel als Jahrgangssprecherin unterwegs sein. In gut einem Jahr fangen die Touren für Olympia an. Und Hendrik kommt auch klar. Ist doch einfach nur toll.“ Sie nahm ihre Mutter in den Arm. „Wann musst du denn anfangen?“ „Da muss ich erst genau nachschauen.“ Sie schaltete ihren MyK an. „Hier steht, die Einführungsseminare sind Anfang Mai und ab August sind die neuen Erdmentoren im Amt.“ „Siehst du, dann haben wir ja alle Zeit der Welt, um alles zu planen. Wissen Hendrik und Papa schon Bescheid?“ Ramonas Mutter schüttelte den Kopf. „Papa kann ich erst in zwei Stunden erreichen, sie haben heute Wildtierzählung und da sind nur lebenswichtige und unaufschiebbare Kontaktaufnahmen sinnvoll. Er kommt gegen 20 Uhr nach Hause. Und Hendrik hat doch heute seine Probearbeiten für die Ausbildung zum Qualitätsfachmann. Er ist gegen 18 Uhr zu erwarten. Als die Nachricht kam war ich sowieso auf dem Weg zu dir, da meine Gruppe beschlossen hat, statt einer Führung durch die Umgebung eine richtige Wanderung zu machen, um das Wetter auszunutzen. Mein Kollege Heinz ist mit Begeisterung mit den Leuten unterwegs. Du weißt ja, wandern ist seine Leidenschaft.“
Ramona schubste ihre Mutter an. „Komm, jetzt gehen wir zu den anderen, die können es gar nicht abwarten dir zu gratulieren.“ Ihre Mutter raffte sich auf. Alle standen wie auf Abruf am Ende des Gartens. Als sie merkten, dass Ramona und ihre Mutter aufstanden und auf sie zugingen, kamen sie alle näher. Das war eine Aufregung. Ramona stand etwas abseits und lächelte ihrer Mutter zu, die alle Hände schütteln und ganz viele Umarmungen erwidern musste.
Für heute Abend hatten die beiden Frauen den Tisch besonders schön gedeckt. Hendrik kam vom Probearbeiten zurück und wunderte sich. „Wollten wir heute Abend nicht in der großen Küche essen, besonders da Papa doch erst spät nach Hause kommt?“ „Er warf einen Blick auf seine Schwester und dann auf seine Mutter. „ Was ist, ich habe nichts gemacht. Die Stelle ist klar, ich kann nächsten Monat mit der Ausbildung beginnen, aber das war doch vorher schon relativ sicher. Was ist los, was grinst ihr so?“ Hendrik fühlte sich verunsichert, und das kam bei ihm recht selten vor. „Darf ich dir vorstellen!“ Ramona machte eine theatralische Bewegung auf ihre Mutter zu. Hendrik schüttelte mit dem Kopf, so kannte er seine Schwester gar nicht. Er war gespannt wie ein Flitzebogen. „Darf ich dir eine der Erdmentorinnen für die nächste Aufgabenperiode vorstellen!“ „Äh, WOW, wie? Ich verstehe nicht!“ „Jaaaaaaaa. Mama ist Erdmentorin!“ „Weiß Papa das schon?“ Hendrik schüttelte nur mit dem Kopf. „Nein Papa weiß es noch nicht. Er ist doch auf Wildtierzählung. In etwa einer Stunde ist er wieder zuhause.“ „So richtig begriffen sie erst ganz allmählich, dass sich das Leben in der Familie jetzt wirklich ändern würde. Hendrik freundete sich schnell mit der Idee an, für die Zeit zur Großmutter zu ziehen. Er würde in den nächsten Jahren selbst auch viel unterwegs sein, ebenso wie Ramona, die mit den Vorbereitungen für die Olympischen Spiele beschäftigt war. Und der Vater begleitet seine Frau sicherlich gerne. Wer weiß, wo sich die Familie in den nächsten Jahren treffen würde.
Nach diesem aufregenden Abend lagen Ramonas Eltern noch lange wach in ihrem Bett und besprachen alles. Der Vater war begeistert, wieder ein reiselustiges Leben zu führen. Die Kinder waren groß und selbst reiselustig. Es fühlte sich gut an. Ein neuer Lebensabschnitt konnte beginnen.

Ben – April im 8. Jahr

Alle waren da, selbst Timothy hatte sich extra freigenommen. Sie standen gemeinsam vor der Kinderbetreuung und warteten, dass die Ruhezeit vorbei war. Beatrice wurde 5 Jahre und Carol hatte alle eingeladen, dies zu feiern.
Die Tür öffnete sich und alle Kinder aus ihrer Gruppe begleiteten Beatrice, um die Gäste willkommen zu heißen.
In der großen Halle hatten die Kinderbetreuer und Kinderbetreuerinnen die Tische mit Steinen, Stöcken und Blumen dekoriert. Die Teller standen an den Plätzen und an der Seite war ein kleines Büfett mit Früchten und kleinen Kuchen aufgebaut. Timothy ging direkt zu dem leeren Tisch neben dem kleinen Büfett. Er hatte vor einigen Tagen Bescheid gesagt, dass er so einen leeren Tisch benötigte. Die Augen der Kinder und der Erwachsenen wurden immer größer, als er die Brötchen auf den Tisch packte. Krokodile, Elefanten, Tiger, und ganz viele andere wilde Tiere machten es sich auf dem Tisch bequem. Rosinenaugen, Mandelzähne, Wallnussohren, Möhrenhaare, Radieschenmünder, eine ganz bunte wilde Bande sorgte für Begeisterung.
„Timothy, wie macht man so etwas!“ Beatrice war genauso neugierig wie die anderen Kinder. „Ja, kleine Beatrice, nein große Beatrice, das habe ich erst vor einigen Wochen kennengelernt und du bist die erste, für die ich diese Tiere gemacht habe. Denn du bist unser aller Sonnenschein. Alles, alles Liebe zu deinem Geburtstag. “ Carol standen die Tränen in den Augen und den anderen Erwachsenen auch. Ja, im Laufe der Jahre war Beatrice für die drei Freunde der Mittelpunkt geworden. Sie gingen nach wie vor auch alleine zu Tanzveranstaltungen und Nachtwanderungen. Aber wenn sie die Wahl hatten etwas gemeinsam mit Beatrice zu unternehmen oder ohne, dann fiel die Entscheidung immer sehr schnell. Mit Beatrice hatten sie den meisten Spaß.
Auch die anderen hatten alle eine Kleinigkeit für Beatrice mitgebracht. Ben überreichte ein Foto von allen gemeinsam beim letzten Ausflug - in einem grünen Bilderrahmen. Carol schenkte ihrer Tochter warme Strümpfe mit Tigern, an denen sie fast ein halbes Jahr gestrickt hatte. Sie war ja nur selten ohne Beatrice. Und das Mädchen zog diese direkt an – sie liebte Tiger! Ken hatte einen glitzernden Stein mitgebracht, in den sich Beatrice sofort verliebte.
Es war ein schöner Nachmittag, alle feierten zusammen und als die anderen Kinder abgeholt werden sollten, gesellten sich die Eltern, Großeltern und andere Menschen, die die Feier durch die nun offene Tür sahen, ganz schnell mit in den Kreis der Feiernden. Die Gemeinschaft war klein, in die Kinderbetreuung gingen nur 25 Kinder zwischen 2 und 6 Jahren. Alle kannten sich.
Nun war der Geburtstag schon wieder einige Tage vorbei. Timothy war in eine andere Gemeinschaft gegangen, nachdem er seine Lehrzeit als Koch beendet hatte. Er wollte mindestens noch zehn verschiedene Aufgabenfelder kennenlernen. Kochen war seine Leidenschaft, die amerikanische und die mexikanische Küche hatte er nun ausprobiert. Ihn reizten die asiatischen Geschmacksrichtungen und er wollte unbedingt noch viele süße Pfannkuchenvarianten kennenlernen.
Ben war im Trainingslager, die amerikanischen Meisterschaften im Fechten würden in einigen Wochen beginnen. Ken steckte in der Endphase seines Studiums der Gesundheitslehre und kehrte zurück in das große Gesundheitshaus. Nur noch ein halbes Jahr und er würde als reisender Gesundheitsberater durch die Welt ziehen.
Carol überdachte die letzten Jahre, während sie die Wäsche für einen Teil der Gemeinschaft faltete. Es war schön, dass nicht alle Aufgaben von jedem übernommen werden mussten. Die alten Leute freuten sich, wenn die Wäsche sauber und ordentlich zurückkam. Und viele andere Gemeinschaftsmitglieder auch. Sie erinnerte sich, dass sie in der letzten Woche beim Schuhreparateur das Wäschepaket abgeliefert hatte und dieser hatte ihr dankbar eine kleine Erinnerungsbörse gegeben. Heute würde sie wieder beim Schuhreparateur und seiner Frau die Wäsche vorbeibringen. Und sie würde ihn fragen, ob sie dort mal in den Beruf reinschnuppern könnte.
„Das ist einfach toll, die Leute bringen ihre Schuhe und egal ob ein Loch in der Sohle ist, das Obermaterial angegriffen aussieht, er findet immer eine Lösung, damit es nachher wieder heile ist. In den zwei Wochen, seit dem ich dort arbeite hat er noch jedes Paar Schuhe fertig bekommen.“ Carol strahlte Ben und Beatrice an. Ben hatte seine vorgesehene Trainingsunterbrechung. Zum Tag des Handelns sollte jeder ja dort feiern, wo er es gerne wollte. „Du strahlst ja richtig. Hast du nun deine Berufung gefunden?“ Carol nickte „Endlich, ich kam mir schon total unentschlossen vor.“

Omar – Oktober im 8. Jahr

Nun arbeitete Omar fast anderthalb Jahre im Komitee. Es war interessant und immer wenn Zahra wollte, konnte sie mitkommen. Meistens fuhr sie mit, wenn auch Murad in der Nähe war. Und das war häufig der Fall. Er trainierte in der Gruppe mit anderen Olympioniken, nachdem er sich für die Wettbewerbe ohne Handicap entschieden hatte. In seiner Gruppe war er der Schnellste. In der Familie seines Vaters hatte es schon einige erfolgreiche Läufer gegeben.
Omar gefiel seine Arbeit. Meistens erledigte er alles von Zuhause aus. Er telefonierte mit vielen Menschen. Und der ein oder andere besuchte ihn auch in der Oase. Es gab einige sehr schwere Schicksale. Kinder, die ihr ganzes Leben auf Hilfe angewiesen bleiben würden. Aber auch die ganz vielen Menschen, die ihr Schicksal angenommen hatten und das Beste daraus machten. Omar entwickelte sich zum Experten. Er legte Notizen zu verschiedenen Schicksalen an und suchte nach Möglichkeiten der Unterstützung. Im Sportorganisationszentrum hatte er viele informierte Menschen getroffen. Diesen fehlte aber die familiäre Erfahrung mit Handicaps. Er pflegte Kontakte zu Sportorganisationszentren in der ganzen Welt. Sein zwar offenes aber doch auf seine Heimat konzentriertes Leben erweiterte sich in ein weltweit agierendes Netz. Viele Dinge, aus den Abenden mit Imma tauchten in seinen Erinnerungen wieder auf. Er verstand viel mehr als an den Abenden damals. Und schon damals begann er mehr von den Zusammenhängen eines großen Netzwerkes zu begreifen. Er dachte gerne an Imma zurück.

Ben – Januar im 9. Jahr

Das neue Jahr hatte begonnen. Ben baute mit Beatrice einen Schneemann, der doppelt so groß war wie die Kleine. Sie half fleißig beim Rollen der Kugel für den Kopf des Schneemannes. Und sie juchzte, als der Schneemann sie mit den Steinaugen und der Möhrennase keck anschaute.
Sie konnte gar nicht genug von dem Schnee bekommen. So viel Schnee war viele Jahre undenkbar. Seit zwei Wochen schneite es und dies war seitdem der erste Tag ohne Schneefall. Carol war zur Arbeit und Ben genoss das Wetter mit Beatrice. Die anderen Kinder aus der Kinderbetreuung spielten ebenso auf dem großen Gemeinschaftsfeld.
Abends gingen Ben und Carol noch eine Runde durch den Schnee. Beatrice schlief und die Oma passte auf.
Nach einer heißen Schneeballschlacht ließen sich Ben und Carol in den Schnee fallen, um Schneeengel zu formen. Sie lachten und erst beim dritten Mal waren die Schneeengel gelungen. Ben stand vorsichtig auf und reichte Carol die Hand, damit der Schneeengel beim Aufstehen in Form blieb. Bens Hand strich eine dicke Schneeflocke von Carols Gesicht. Diese schreckte auf. Ben zog seine Hand sofort zurück. „Entschuldigung.“ Sie sah so verlegen aus. Sein Herz klopfte stärker, als ihm lieb war. „Carol, ich dachte immer, ich mag dich einfach, weil wir schon so lange gute Freunde sind. Ich kann meine Gefühle momentan überhaupt nicht mehr einordnen. Ich möchte dich bitten, einfach zu hinterfragen, was du für mich empfindest. Egal was du sagst. Ich kann auch einfach einer deiner Freunde bleiben.“ Er stotterte fast vor Aufregung. Carol hob die Augen und blickte ihn ganz bewusst an. „Ben!“ es klang wie ein Aufschrei. Alles krampfte sich in ihm zusammen. ‚Nein, sie konnte sich sicherlich keine gemeinsame Zukunft vorstellen. In den letzten Jahren hatte sie nie einen festen Freund gehabt. Sie hatte ihr Leben mit Beatrice und ihrer Mutter eingerichtet. Sie ging mit den Freundinnen aus und traf sich natürlich mit ihm, Ken und Timothy. Er hatte alles falsch gemacht.‘ Ben sackte in sich zusammen. Dann wollte er gerade tief durchatmen, als er ihre Lippen auf seinen spürte. Er öffnete die Augen. Sie war so nah. Und sie strahlte ihn an. „Carol!“. Einige Minuten später lösten sie sich langsam aus der Umarmung. Beide strahlten. „Ich hab dich so gern, nein, ich liebe dich. Ich habe nicht gedacht, dass du mich auch ein wenig mehr gern haben kannst.“ Carol stammelte „Du warst immer mein bester Freund. Du warst da, wann immer ich eine Schulter brauchte. Du hast mir immer geholfen meine Gedanken zu ordnen. Alles war so selbstverständlich. Ich habe immer etwas vermisst und gar nicht gewusst, dass es mit dir zu tun haben kann. Du, …“ Ben hob sie hoch zu sich. „Ich glaube ich liebe dich auch. Es war noch nie irgendetwas so intensiv in mir zu spüren. Es fühlt sich gut an, dich so nah zu haben.“
Beatrice war früh aufgestanden. Es war Sonntag und als sie zur Haustür hinausschaute, sah sie Onkel Ben, der die Brötchentasche trug. „Onkel Ben“ „Guten Morgen Beatrice, sei mal noch ein wenig leise, Mama und Oma schlafen doch sicherlich.“ Sie nickt. „Hast du für uns Brötchen gemacht?“ „Meine Mutter hat heute Morgen gebacken. Jo ist mit den Mädchen schon ganz früh zu einer Tierbeobachtung aufgebrochen und sie wollte, wenn sie wiederkommen, gefüllte Brötchen machen. Und da sie viel zu viel Teig hatte, habe ich sie um ein paar Brötchen für euch gebeten. Aber lass mich erst mal ins Haus, du bekommst ja ganz kalte Füße.“ Die beiden deckten den Tisch als Carol die Treppe hinunterkam. Sie begrüßte die Kleine und wurde dann liebevoll von Ben in den Arm genommen. Er hatte sie schon so häufig in den Arm genommen. Es fühlte sich mit einem Mal so anders an. So gut, so ungewohnt, so ja – richtig. Beatrice schaute ihre Mutter an, dann schaute sie Ben an. „Was ist mit euch?“ Neugierde, Befremden, Freude. Als Ben Carol einen kleinen Kuss auf die Nasenspitze setzte, quietschte Beatrice los. „Habt ihr euch jetzt mehr lieb wie vorher?“ Die beiden nickten und beobachteten die Kleine. Beide wollten dem Kind nicht wehtun. „Darf ich dann Papa zu dir sagen?“ Atemlos stieß Beatrice diese Frage aus. Carol und Ben fühlen sich leicht. Carol drücke Ben einen Kuss direkt auf den Mund. Die Kleine breitete mit einem Aufschrei die Arme aus und wurde von ihren Eltern in die Arme genommen. Alle Sorgen, die sie gestern Abend hatten, nachdem ihnen klar geworden war, dass sie zusammengehörten, waren verflogen. Beatrice sah so glücklich aus, da konnte nichts falsch sein. Es klopfte. Beatrice befreite sich aus den Armen der beiden, riss die Tür auf und begrüßte ihre Oma stolz mit: „Ich habe jetzt den liebsten Papa der Welt!“ Carols Mutter stutze, dann sah sie Ben bei Carol stehen und eine große Zufriedenheit senkte sich auf ihre Seele. Ja, ihre Tochter war endlich angekommen.

Bruce – April im 9. Jahr

Es war echt was los, als Bruce seine Familie besuchen wollte. Keiner seiner Geschwister hatte ihn abgeholt. Er war mit dem öffentlichen Mobil alleine nach Hause gefahren und schon vorher sah er Menschenmengen auf den Wiesen und Feldern. Der Sommer war vorbei und die etwas kühlere Jahreszeit würde bald beginnen.
„Heute ist Baumpflanzaktionstag, da ist jede Hand gefragt!“ Sam nahm seinem Onkel den Seesack ab, verstaute ihn unter dem Anhänger und zog ihn zu den anderen. Mit einem lauten „Onkel Bruce ist jetzt auch da!“ informierte er alle und drückte ihm einige Setzlinge in die Hand.
Abends saßen alle im Gemeinschaftsgarten. Bruce war nun fast ein Jahr nicht Zuhause gewesen. Er hatte mit Brain den letzten Heimatlandgang für eine Reise nach Grönland genutzt. Befreundete Schiffer hatten die beiden mitgenommen. Seitdem sie vor 20 Jahren das Buch der Grönländerin Angu gelesen hatten, war Grönland schon immer ihr Traumziel gewesen. Es hatte sich nur nie ergeben.
Alle lauschten seiner Beschreibung der langen Fahrt und den Gegebenheiten in Grönland. Besonders faszinierend waren sie von den Bildern, die er mit seinem MyK zeigte. So viel Eis – das hatte noch keiner gesehen. Brain hatte einen besonders schicken Film von Bruce Ausrutscher aufgenommen. Das Lachen war groß als er auf dem Rücken liegend im dicken Anzug mit den Beinen strampelte, um wieder aufzustehen.
Der Unterschied war auch zu groß. Selbst im Winter war Schnee die absolute Ausnahme. Nach der letzten Dürre hatten alle Menschen aus dem Bezirk beschlossen, mehr Bäume zu pflanzen und zu pflegen. Laut Statistik waren Waldbrände in den letzten 80 Jahren um 30 % reduziert. Nur wenn es brannte und die Schützer nicht sofort mit ihrem Material vor Ort waren, dann ging es meistens nur noch darum das geschädigte Gebiet zu minimieren. Früher sollten Brandstiftungen und unsachgemäßes Verhalten die häufigste Ursache gewesen sein. Das Bewusstsein, dass jedes Leben wichtig ist, damit alles funktioniert, hatte sich in den letzten Jahrzehnten verfestigt.
An diesem Abend wurde einer der Erfinder geehrt, der mit seinen Ideen die Entwicklung der Frühwarnsysteme optimiert hatte. Jason war schon fast 50 Jahre dabei und das erste System war nach ihm benannt worden. Das Jasonmeter. Heute stand das neue Schnelllöschsystem im Vordergrund. „Vor dreißig Jahren fühlte ich mich sehr wichtig. Ich hatte das Frühwarnsystem entwickelt und durfte diesem einen Namen geben. Damals war ich stolz und gab dem System meinen Namen. Heute sehe ich es anders. Ich bin dankbar, dass mir etwas so Wichtiges eingefallen ist und wir die Brände schnell löschen können. Die Entwicklungen habe ich nicht alleine betrieben, es waren ganz viele Schützer und Fachleute, die mir bei der Umsetzung der Idee geholfen haben. Darum habe ich mir über den Namen Gedanken gemacht. Und ich nenne es DANKBARKEIT. Diese will ich euch erweisen, dass ihr mich meine Arbeit machen lasst und mir immer wieder auf den Weg mitgegeben habt – ist doch egal, ob du im Garten arbeitest – Hauptsache wir können hier mit weniger Sorge leben und ernten. Ich bin euch dankbar für die Geduld – die ich teilweise schon selbst verloren hatte, weil es nicht so funktionierte, wie ich es mir vorstellte.“ Er nahm einen tiefen Atemzug und schaute sich im Kreis um. Man sah, er fühlte eine wirklich große Dankbarkeit. „Ich werde nie wieder einer Erfindung meinen Namen geben – denn nur alle zusammen schaffen die neuen Entwicklungen. Danke für all eure Geduld. Und dir Bruce danke ich, dass du mit deinen Impulsen neue Seiten aufzeigst, weil du dich überall in der Welt bewegst und so plastisch erzählen kannst. Erinnerst du dich an dein Video, was du vor einigen Monaten geschickt hattest. Das mit den Kerzen, die ihr an Bord zum Verschließen der Giftproben genutzt hattet?“ Bruce nickte. „Dieses Video war für mich der Durchbruch. Es hat meine Vorgehensweise in Frage gestellt. Und so konnte ich die Lösung finden. Das System löst bei einem Brand selbst den Alarm aus.“ „Und das hat mit den Röhren zu tun, die wir heute neben jeden zehnten Baum gesetzt haben?“ Sam war ganz hibbelig. „Wird das System hier bei uns zuerst angewandt?“ Jason nickte. „Das erste Mal in freier Natur.“ Alle schauten ihn gespannt an „Ihr müsst es euch folgendermaßen vorstellen. In den Röhren ist ein Gemisch aus vielen Naturmaterialien, die gemeinsam eine brandhemmende Wirkung haben. Wenn es brennt, wird der Pfropfen samt Inhalt aus den Röhren gestoßen und im Umkreis von mindestens zehn Metern wird alles mit einem ganz feinen Staub bedeckt. Dieser Staub erstickt in den meisten Fällen die Flammen. Der Staub ist aber auch farbig und wenn nur ein Mensch in der Nähe ist, wird er aufmerksam und kann weitere Maßnahmen einleiten. Es wird sicherlich nicht jeder Baum gerettet werden, es minimiert aber das Ausmaß ganz gewaltig und sobald die erste Röhre startet, werden die nächsten Röhren auch gestartet. Sollten mehrere Röhren gleichzeitig starten, dann wird der gesamte Bereich starten. Die Röhren können immer wieder gefüllt werden. Der Austausch ist immer nur bei den ersten Röhren notwendig, da diese sehr nah am Feuer standen.“
Bruce genoss die Zeit mit seinen Lieben. Sein Vater war immer noch mit den Rasenmähern unterwegs. Dann fuhren sie gemeinsam durch die Nachbargärten und erzählten. Tante Emilie war vor einigen Monaten verstorben, sie war mit 85 Jahren einfach abends eingeschlafen und morgens nicht mehr aufgewacht. Sein Vater vermisste seine Schwester, die ihm in den letzten Jahren, nach dem Tod seiner Frau ein liebevoller Gesprächspartner gewesen war. Er hatte die Zeit genossen und gönnte seiner Schwester den ruhigen Abschied aus dem Leben. Die rote Tasche stand immer in seinem Zimmer, gefüllt mit vielen Erinnerungen. Seine Enkelkinder liebten seine Erzählungen und durch die vielen Erinnerungen konnte er auch Bruce Episoden aus der Vergangenheit erzählen, an die er schon so lange nicht mehr gedacht hatte.
Es war eine gute Zeit. Kurz bevor Bruce zurück auf sein Schiff ging, kam Brain für die letzten Tage vorbei. Und da sahen sie ein farbiges Spiel am Himmel. Im ersten Moment reagierte keiner. Doch dann liefen alle zur Baumplantage und sahen, das Schnelllöschsystem funktionierte. Fünf der kleinen Bäume waren mehr oder weniger verbrannt. Es hatte sich ein roter Staub über die Bäume im Umkreis ausgebreitet. Doch es war nichts weiter passiert. Jason zeigte das Nachfüllen und den Austausch der Röhren in der Praxis. Etwas stolz war er, dass alles so reibungslos verlaufen war. Das System lag auch schon für andere Bezirke bereit und das Interesse war in allen heißen Zonen groß.
„Weißt du Kapitän, durch unser System bei ungeklärten Stoffen, die wir finden, werden jetzt Wälder gerettet – so etwas hätte ich mir nie vorstellen können.“ Brain saß gemeinsam mit der gesamten Crew im Gemeinschaftsraum und erzählte allen vom Schnelllöschsystem. Bruce und Brain hatten zwei Kisten mit Röhren und zwei Kisten mit Füllung und Stopfen von Jason mitbekommen. Schließlich fuhren sie viele Inseln an.

Ramona – Mai im 9. Jahr

Die Oma packte noch etwas mehr Proviant in Ramonas Rucksack. „Oma, bei den Zwischenstationen bekommen wir immer genug zu essen!“ „Ich weiß, aber ich habe dir extra von unserer Gemüsepastete kleine Portionen zubereitet. Dann hast du auf deiner Reise immer ein Stückchen von Zuhause mit.“ Ramona nahm die Oma in den Arm. Sie wusste, es war schwer für Oma. Ihre Eltern waren nun schon ein halbes Jahr unterwegs. Nur das Weihnachtsfest konnten sie alle gemeinsam feiern. Eine Woche Heimaturlaub für die Erdmentorin.
Onkel Daniel hatte gestern am „Tag des Handelns“ sogar eine Rede gehalten.
Und dies wunderte nicht nur Ramona und Hendrik. Was hatte er noch gesagt. „Als Wissensvermitler habe ich mich in der letzten Zeit besonders mit dem Tag des Handelns auseinandergesetzt. Durch den Tag des Handelns sind Aufgaben entstanden und auch Verantwortungen, die aus der Geschichte in dieser Dimension nicht bekannt waren. Meine Schwester und mein Schwager sind im großen Auftrag für eine friedliche Welt unterwegs. Meine Nichte wird Morgen in einer anderen Art für dasselbe Ziel unterwegs sein. Ich freue mich in einer Zeit zu leben, in der wir in Frieden miteinander ein gutes Leben führen. Eine Welt, in der jeder Mensch mit einer zu ihm passenden Aufgabe seinen Beitrag leisten kann. Ich bin stolz auf meine Familie.“
Hendrik würde Ramona gleich mit dem Mobil zum Treffpunkt bringen. Auch für ihn würde sich einiges ändern. „Ich bleibe erst mal hier, Ramona. Einen besseren Ausbilder als Frau Klein finde ich sicherlich nicht so schnell. Ihr seid alle unterwegs und irgendwer muss ja zuhause sein, wenn ihr hier wieder reinschneit. Mama und Papa werden wohl erst zum Jahresende für ein oder zwei Wochen hier sein und du bist sicherlich erst im Herbst nächsten Jahres wieder zuhause. Wenn du dann überhaupt noch hier wohnen willst – Oma sagt, Mama war nach der Reise zu den Olympischen Spielen bis zu meiner Geburt immer unterwegs gewesen. Und du bist Mama sooooooooooooo ähnlich.“ Hendrik grinste. Aber es war klar, dass ihm der Abschied nicht leicht fiel. „Pass mal auf, großer Bruder! Wir werden in den nächsten Tagen immer wieder telefonieren. Ich zeige dir wo ich bin, dann wirst du vielleicht auch noch ganz reiselustig, wie Oma immer sagt. Im September habe ich mit Mama und Papa auch schon ein Treffen verabredet und bei den Olympischen Spielen sind sie ja auch vor Ort.“ Ramona drückte ihren Bruder herzlich. „Ich werde hier erst mal die Stellung halten. Da können auch die tollen Bilder nichts ändern. Qualitätsfachmann ist eine echt tolle Aufgabe. Du hast ja keine Ahnung, wie viele Neuerungen einfach nur unnütz sind.“ Ramona nickte. Ihr Bruder hatte ihr von einigen Erfindungen erzählt. Dinge, die das Wasser belasten würden, nur um etwas schneller von einem Ort zum nächsten zu gelangen. Sie verstand das nicht. Sie freute sich auf eine ruhige Reise mit vielen Begegnungen. Mit 10 bis 100 Kilometer am Tag würden Sie ihr Ziel pünktlich erreichen.
Ihr großer Bruder Tränen in den Augen als er wieder nach Hause fuhr. Aber abends würde sie ihm vom ersten Treffen mit den anderen Jahrgangssprechern berichten. Gleich trafen sie sich zu viert. Gemeinsam würden sie zu den Olympischen Spielen reisen. Und heute Abend gesellten sich noch die hinzu, die in den einzelnen Bezirken für eine bunte Kommunikation sorgten. Ramona war sich noch nicht genau über ihre eigenen Aufgaben klar. Sie wusste, dass sie auf der Reise schon einige Sportler kennenlernen würde, diese reisten dann später auf dem schnellsten Weg zu den Austragungsorten in der Mongolei. Die ersten Kontakte würden aber auch die spannendsten sein.
Mit Christine aus Dänemark, Ronnie aus England und Benito aus Spanien hatte Ramona einen spannenden Nachmittag verbracht. Sie vier redeten zusammen in über 20 verschiedenen Sprachen. Und bis zu ihrer Ankunft in der Mongolei würden ganz viele Jahrgangssprecher aus allen Kontinenten mit noch mehr Sprachen zusammenkommen.
Abends trafen sich die Jahrgangsprecher aus nah und fern. Mehr als fünfzig junge Menschen! Die einzelnen Bezirksjahrgangssprecher wollten von den vieren ganz viel wissen. „Wir Daheimbleibenden werden eure Informationen weitergeben. Wir können sogar direkte Bilder von euch an den Übertragungsorten zeigen. Bei uns wollen wir an einem Wochenende die ganze Gemeinschaft zusammentrommeln und dann direkt fragen, was ihr erlebt habt.“ Eine Jahrgangssprecherin aus Belgien hatte sich zu Wort gemeldet. Und die anderen nickten zustimmend. An diesem Abend wurden ganz viele Details besprochen – das Wichtigste war aber, dass der Termin für das Infowochenende festgelegt wurde. Man einigte sich auf das erste Wochenende im September. Zu dem Zeitpunkt vervollständigten die Jahrgangssprecher aus der Ukraine und Kasachstan die Reisegruppe.
Am nächsten Morgen brachen die vier Jahrgangssprecher auf. Sie hatten ein Reisemobil zur Verfügung gestellt bekommen. Sie konnten dieses wie ein Fahrrad betreiben. Unterstützt wurde das Mobil mit Solarstrom. Am besten war auf jeden Fall der Aufbau. Jeder hatte im unteren Bereich Platz für seine Sachen. Die sechs Betten waren an den Seiten des Mobiles zusammengeklappt. Abends war es ein Leichtes diese auszufahren und dann hatten sie Platz gemütlich zusammenzusitzen. Aber es würde sich in den ersten Tagen zeigen, wie sie mit dem Reisemobil zurechtkamen.
Nach drei Wochen waren die vier ein eingeschworenes Team. In den Gemeinschaften wurden sie freundlich empfangen. Manchmal umfuhren sie Ansiedlungen, sonst wären sie überhaupt nicht weitergekommen. Sie hatten den polnischen Bereich hinter sich gelassen und im ersten Ort der Ukraine ihr Lager aufgeschlagen. Sie saßen mit einigen Jugendlichen aus der heimischen Gemeinschaft Ort zusammen. Hier waren alle aufgeregt, denn ihr Nachbar Sergei hatte sich als Radsportler für die Olympischen Spiele qualifiziert. Dieser setzte sich abends mit ans Lagerfeuer. „Ich habe schon viele Sportler auf den verschiedensten Veranstaltungen getroffen. Einige starteten bei den letzten Spielen und sie waren begeistert, von dem, was die Jahrgangssprecher bei den Spielen leisten. Ihr seid ja für fast alle Bereiche zuständig. Egal ob es direkt um den Sport geht, ob einer von uns einen Gesprächspartner außerhalb der Sportgruppe sucht und auch wenn wir Kontakt mit irgendeiner bestimmten Person möchten.“ „Ja, das ist das Spannende. Und soweit ich es von früheren Jahrgangssprechern gehört habe, ist es die ideale Gelegenheit wirklich mit Menschen in ihrer Muttersprache zu reden. Wo hat man sonst diese Sprachvielfalt.“ Ronnie war von dem Gedanken an die Aufgaben erfüllt. Dies war schon auf der Fahrt aufgefallen. Er hatte seine Familie früh bei einem Unwetter verloren und wuchs dann bei den alten Großeltern auf, die kurz nachdem er die Einladung als Jahrgangssprecher erhalten hatte, verstarben. Er lebte in den letzten Jahren nur für diese Aufgabe und weitere Sprachen gelernt. Normalerweise traten die einzelnen Jahrgangssprecher mit wenigstens fünf Sprachen die Reise an. Ronnie brachte es auf zehn Sprachen, neben der Weltsprache. Er hatte vorher schon neben seiner Heimatsprache Englisch, Arabisch, Schwedisch, Türkisch und Russisch gesprochen. Als die Tour ihrer Gruppe bekannt wurde, lernte er alle Sprachen der durchquerenden Länder. Für ihn war deutsch, polnisch, ukrainisch, kasachisch und mongolisch hinzugekommen. Auch die anderen waren in mindestens einer dieser Sprachen sicher. Ronnie war aber auch ein außergewöhnliches Sprachtalent.
Sie verabredeten sich mit Sergei. Er war der erste Sportler, mit dem sie auf Ihrer Tour Kontakt bekamen.
In den letzten Wochen war den Vieren klar geworden, dass sie Botschafter für die Olympischen Spiele waren. Sie kamen auf ihrer Tour, genau wie die anderen 36 Jahrgangssprecher, in direkten Kontakt mit der Bevölkerung. Überall wurden am ersten Septemberwochenende Treffen der Bevölkerung organisiert. Und die Jahrgangssprecher freuten sich schon ihre Erfahrungen weiterzugeben. Der Sport stand momentan nicht im Mittelpunkt. Es war das Verbinden der Menschen. Sie verstanden inzwischen, dass bei jeder Olympiade andere Touren geplant wurden. So hatten die meisten Menschen Gelegenheit einmal im Leben ein Stück Völkertreffen richtig zu erleben. Es war ein echtes Abenteuer. Und sie freuten sich darauf viele der nun schon bekannten Besucher der Olympischen Spiele in der Mongolei wiederzusehen.

Ramona – Juli im 9. Jahr

Nun waren Sie fast drei Monate unterwegs. Nikolaj hatten sie in der Ukraine eingesammelt und gestern hat Valerija ihr Tour-Team vervollständigt. Sie befanden sich jetzt in Kasachstan und hielten vor einem der Übertragungsorte. Dort sollte die virtuelle Begegnung aller Teams stattfinden.
„Ich habe nicht gedacht, dass es so spannend ist.“ Valerija ließ den Tag nochmal Revue passieren. „Erst gestern kamt ihr mit dem Reisemobil. Ich hatte mich erschrocken, wie wir mit sechs Personen auf so engem Raum die nächsten Wochen aushalten sollten. Aber das Teil ist einfach genial. So viel Platz im ausgefahrenen Zustand. Und ihr seid alle so toll.“ Sie atmete einmal durch „Und dann heute – alle Jahrgangssprecher zusammen in einem Raum – wenn auch nur virtuell. Die anderen Teams strahlen auch so viel Freude aus. Und welche Begegnungen schon stattgefunden haben. Mit Sportlern, aber besonders auch mit den Menschen überall auf der Welt. Ich wäre so gerne von Anfang an dabei gewesen. Aber dann würden die Spiele ganz woanders stattfinden.“ Ja, Valerija hatte einiges nicht erleben können. Dafür hatte sie organisatorisch vieles ausgearbeitet. Unter anderem die Zeitpläne, damit während der Spiele immer mindestens vier Jahrgangssprecher für die Sportler Zeit hatten. Jeweils gut gemischt, damit möglichst viele Sprachen abgedeckt waren.
Nikolaj war schon 4 Wochen dabei. „Mit dem Reisemobil, da habe ich auch erst Bedenken gehabt. Wer das ausgetüftelt hat, der kann echt stolz auf seine Leistung sein. Was mir aufgefallen ist – wir Jahrgangssprecher sind ja alle mehr oder weniger in einem Alter – zwischen 17 und 23 Jahre. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es so viele Menschen gibt, die Sprachen so sehr lieben wie ich. Ich weiß nicht, wie viele Bezirkssprecher ich in diesen vier Wochen kennengelernt habe.“ Benito nickte, wie die anderen auch. „Ich bin jetzt über vier Monate unterwegs. Was mich am meisten bewegt, ist, dass wir überall so freundlich aufgenommen wurden. Zuhause ist der Zusammenhalt groß, das habt ihr ja auch alle erzählt, aber egal wohin wir gekommen sind, die Menschen sind auf uns zugekommen. Sie haben für uns gesorgt und auch immer um das Auffüllen der Vorräte gekümmert. Und dabei kamen wir für viele Menschen ganz überraschend. Denkt nur an das kleine Dorf kurz vor dem Übergang zu Kasachstan. Die lebten mit sich und der Welt und sie nutzten nur ein MyK für die ganze Gemeinschaft. Wir kamen und alle Menschen machten sich auf den Weg zum Gemeinschaftshaus. Wir hätten dort auch gerne noch Wochen bleiben können.“ „Ja, und wir nutzen den MyK ständig. Nach dieser Begegnung habe ich bewusst die täglichen Kontakte mit meiner Familie reduziert – denen habe ich aber Bescheid gesagt. Jetzt freue ich mich umso mehr, wenn wir alle drei bis vier Tage Kontakt haben und abends ist es auch viel ruhiger, wenn wir gemütlich zusammensitzen.“ Ramona strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Ich freue mich aber immer riesig, wenn ich richtig Zeit zum Reden mit meinen Leuten habe.“ „Irgendwie hat sich das gut eingespielt!“ Christine streichelte ihren MyK. „Immer am Sonntag und am Mittwoch nehmen wir uns alle Zeit für Familie und Freunde. Und das hatten wir nicht einmal besprochen. Am Anfang war es für mich auch wichtiger, den täglichen Kontakt mit der Familie zu halten. Inzwischen fühlt es sich gut an, sich auf diese Kontaktkaufnahmen zu freuen.“ „Oh, gut, dass ihr davon sprecht. Ich hätte es sonst sicherlich anders gemacht. Ich sage meiner Familie dann Bescheid, dass wir es so regeln.“ Valerija wirkte verunsichert. Nikolaj lachte: „Mir hat auch keiner was gesagt. Nach einer Woche stimmte der Rhythmus. Und bisher wurde es auch noch nie angesprochen. Es funktionierte einfach. Du hättest es nach einer Woche auch gewusst.“ Er nickte Valerija freundlich zu. Ramona schaute von einem zum anderen. Es waren nette Menschen, die sie kennenlernen durfte. Valerija war so anders als sie selbst. Sie war so musikalisch – sie hatte gestern direkt eingestimmt, als Benito und Ronnie die musikalische Abendunterhaltung übernommen hatten. Nikolaj und Christine hatten mehr die gestalterische Ader wie sie. Auf ihren Skizzenblocks hielten sie die Impressionen der Reise fest. An manchem Abend hatten sie schon die Bilder der vergangenen Wochen abfotografiert und auf ihre Tourseite gesetzt. Natürlich auch echte Fotos von der Tour. Die Bilder zeigten aber so viel mehr an Persönlichkeit. Bei den anderen Teams gab es auch einige Jahrgangssprecher, die malten. So entstand eine weltweite Galerie mit Bildern, Fotos und musikalischen Einlagen. Diese waren genau so unterschiedlich. Aber alle spannend. Und die Rückmeldungen waren extrem hoch. Manchmal bekamen sie das Gefühl, die ganze Welt würde sich für ihre Touren interessieren.
„Nach dem heutigen ersten Gesamttreffen kann ich nur sagen: Ich freue mich all diese Menschen auch noch persönlich kennenzulernen!“ Nikolaj strahlte. „Ich bin so dankbar, dass ich ein Teil dieses Jahrgangsprecherteams sein darf.“

Ben – September im 9. Jahr

Ben hatte mit Carols Mutter den Küchendienst übernommen. Das gemeinschaftliche Mittagessen war beendet, Carol war zurück zur Arbeit gegangen und Beatrice war mit ihrer Lerngruppe unterwegs. Ihre Omapa, wie sie sie nun stolz nannte, zeigte den Kindern die verschiedenen Kräuter mit dem Buchstaben B.
Bens MyK brummte. „Ja.“ „Ben, ich bin es Ken.“ „Hallo Ken, was ist passiert?“ „Bist du alleine?“ „Nein, ich helfe Carols Mutter beim Küchendienst.“ „Gut, seid ihr allein.“ „Ja, mache es nicht so spannend. Was ist los mit dir?“ „Also setzt euch erst mal hin.“ Ben winkte Carols Mutter zu sich „June, Ken sagt, wir sollen uns setzen!“ Sie legte das Geschirrtuch zur Seite: „Na, dann, was der wohl wieder ausgefressen hat!“ „Ich habe den MyK jetzt auf laut gestellt und wir sind alleine. Also, was willst du uns mitteilen.“ „Gut, ich bin jetzt unten in Mexiko, aber das wisst ihr ja. June, ich weiß, dass Carols Vater eine große Narbe über dem linken Auge hatte. Und dass er dich damals verlassen hatte, um seine Angelegenheiten in seinem Dorf in Mexiko zu erledigen. Du hattest mit ihm den letzten Kontakt, da wusstest du noch nicht, dass Carol unterwegs war.“ „Ken worauf willst du hinaus. Fernando ist nie wiedergekommen, das weißt du doch alles und … Ach, erzähl einfach weiter.“ Sie sah verstört aus. „Ben, halte sie fest, wenn sie weglaufen will, das hier ist ganz wichtig für euch alle.“ Nach einer kurzen Pause dann: „Also hier lebt ein Mann, der vor 21 Jahren angespült wurde. Mit einer Narbe, die so aussieht, wie du es uns mal beschrieben hast. Er ist etwa 45 Jahre und hat keine Erinnerungen. Er lebt und arbeitet hier, seit er aus dem Gesundheitshaus entlassen wurde und einmal im Jahr kommt er zur Kontrolluntersuchung, ob sich sein Gedächtnis erholt hat. In der Vermisstendatenbank war er nirgends als vermisst gemeldet und so lebt er bei einer älteren Dame, die ihn damals mit ihrem Mann gemeinsam aufgenommen hat.“ „Du machst keine Witze mit so etwas Ken!“ Ben wollte sich nur vergewissern, denn June hatte sich in seine Arme geflüchtet und schluchzte. „Ganz sicher nicht, ich habe auch alle Dinge die mir möglich waren schon geklärt. Mir kam da so eine Ahnung und ich habe halt von unserer Gemeinschaft von Chester erzählte, bei dem Namen zuckte er zusammen. Er weiß nicht warum, aber irgendwie kamen ganz kleine Erinnerungen. An einen Baum mit einer schönen Frau. Ich habe mit ihm ganz intensiv gesprochen und immer wieder Informationen von unserer Heimat mit einfließen lassen. Ich glaube, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es Fernando ist, bei über 90 % liegt. Seit über einer Woche habe ich alle Fakten doppelt geprüft. Mit den Schützern von damals habe ich auch gesprochen und du hattest ja so plastisch erzählt, dass er mit seinem grünen Halstuch losgezogen sei, in dem kleine Autos in einem anderen Grünton eingearbeitet waren. Mit den Informationen habe ich dann auch einen Zusammenhang mit seiner Heimatumgebung herstellen können. Dort in seiner Heimat gab es aber keinen Menschen, der sich erinnern konnte. Damals war der Ort von einem schweren Beben fast zerstört worden.“ „Dann hat er mich ja nicht wirklich verlassen.“ June liefen die Tränen nur so runter. Die beiden jungen Männer warteten bis sie sich etwas beruhigt hatte. „Hätte ich doch damals nur eine Vermisstenanzeige aufgegeben.“ „Stopp“ Ben schob June etwas von sich. „Du warst dir nicht sicher, ob er deine Liebe wirklich ehrlich erwiderte. Du wusstest nicht mal den Namen seines Heimatortes. Er wollte zurück in seine Gemeinschaft, weil er noch was zu regeln hatte. Du weißt nicht was es war, und er wird es dir momentan sicher auch nicht sagen können. Du brauchst dir überhaupt keine Vorwürfe machen.“ „Aber Carol hätte einen Vater haben können.“ „Ken, kannst du ein Bild des Mannes rüberschicken und auch eines von der Narbe?“
Junes Hände streichelten über das Gesicht des Mannes ohne Gedächtnis. Ja, das war Fernando, etwas älter und mit noch mehr Narben am Kopf, aber eindeutig Fernando.
June saß Stundenlang zurückgezogen auf dem Sofa. Ben hatte mit Carol gesprochen, als sie von der Arbeit zurückgekommen war. Die beiden Frauen hatten zusammen geweint, sie hatten zusammen gelacht. Ben hatte eine Vertretung für den Küchendienst organisiert und Beatrice bei seinen Eltern untergebracht. Was im Haus an Emotionen kochte, das brauchte Beatrice nur in kleiner Dosis zu einem späteren Zeitpunkt. Seiner Mutter erklärte er, dass es wichtig sei und mit einem gemeinsamen Nachtspaziergang mit Opapa und Omapa, Nellie und Katie, war Beatrice rundum zufrieden. Er hatte dies organisiert, bevor Carol informiert war und so hatte Beatrice Carol freudestrahlend erzählt, dass die Omapa sie eingeladen hatte.
Mit Ken organisierte er jetzt ein Treffen von June, Fernando, Carol und Beatrice. Mit einigen neuen Informationen von June war Fernando heute einige Schritte näher an seinem früheren Leben.

Ben – Oktober im 9. Jahr

Ken hatte alles auf den Weg gebracht, vor zwei Tagen war er mit Fernando angereist. Puzzleteil für Puzzleteil erinnerte sich Fernando an früher. Als er June sah, liefen ihm die Tränen nur so über die Wangen. Señora Terradi begleitete die beiden. Fernando, den sie Aldo nannte, war ihr wie ein Sohn ans Herz gewachsen.
Ken war als behandelnder Gesundheitsberater immer in der Nähe und die Nachricht, dass nach so langer Zeit ein Mensch seine Erinnerungen wiederbekam ging durch die Informationskanäle. Verschiedene Gesundheitsberater, die auf diesem Gebiet Erfahrungen hatten, reisten an. Ken bestimmte welche Informationen und Bilder über die Kanäle gingen und Jo durfte als einziger Aufnahmen für diese Kanäle machen.
Zuerst steuerte Fernando auf zu Carol zu. Das Bild ähnelte dem Bild der jungen June. Er kam nur nicht mit der Haarfarbe klar. In den Gesprächen mit June fügten sich die Puzzleteile zusammen. Er konnte sich aber immer noch nicht erinnern, warum er damals überhaupt in seine Gemeinschaft zurück musste. Zwei Wochen nach der ersten Bekanntmachung meldete sich eine Frau. Sie sei Fernandos Schwester. Damals habe er sich mit dem Vater zerstritten, weil er ihr beigestanden habe. Sie könne sich nur vorstellen, dass er dieses Zerwürfnis vor einem neuen Lebensabschnitt bereinigen wollte. Sie selbst wusste nicht wo ihr Bruder abgeblieben sei. Der Vater hatte es auch den anderen Geschwistern schwer gemacht, sich als Familie zu fühlen. Mutter und Vater seien bei dem Beben umgekommen und sie hätten keinen Kontakt aufnehmen können, da Fernando seinen MyK in der Heimat gelassen hatte, wohl um den Kontakt mit dem Vater vollständig abzubrechen. Sie machte sich direkt auf den Weg und hoffte das die Bilder von der Familie Fernando helfen. Die Geschwister hatten nicht so viel Glück und so dachte sie, sie sei die einzige Überlebende aus der Familie.
Die ganze Gemeinschaft feierte die einzelnen Erfolge von Fernando. June fasste Vertrauen und nach drei Wochen waren die beiden wieder ein Paar.
Carol konnte ihr Glück nicht fassen. Sie war ohne Vater aufgewachsen. Und nur, weil ihr Vater ohne MyK aufgebrochen war. Dadurch konnte ihre Mutter nicht das Vertrauen aufbauen, dass sie so gerne gehabt hatte. Die meisten Menschen hatten ihren ganz persönlichen MyK und wer sich außerhalb seiner Gemeinschaft bewegte, der war mit einem MyK überall erst mal als vertrauenswürdig anerkannt. Es gab nur ganz wenige Menschen, die ohne MyK unterwegs waren und die hatten meistens gute Gründe dafür. Und manchmal waren die Gründe in einer nicht intakten Familie zu suchen.
Beatrice genoss die nun immer größer werdende Familie. Erst hatte sie einen Papa bekommen. Der hatte gleich Großeltern und Tanten mitgebracht. Die waren ihr alle aber schon lange vertraut. Und jetzt gab es auch noch einen Opa dazu. Einen, der ganz neu in ihr Leben gekommen war.

Omar – November im 9. Jahr

Omar saß mit Zahrah im Zelt, Hadia war mit ihrem Mann und den beiden Kinder mal wieder zu Besuch. Sie hatten regelmäßig Kontakt, nur Hadia lebt in der über 800 km entfernten Gemeinschaft, aus der ihr Mann stammte. Die beiden Kleinen waren inzwischen neun und elf Jahre. Zwei quirlige Mädchen, die die Zeit in der Oase mit den Großeltern genossen. Ja so zwei Mal im Jahr sahen sie die Beiden live. Einmal machten sie sich auf den Weg und das andere Mal machte sich die Tochter auf den Weg. Wie so häufig war Murad Thema. Hadia war stolz auf ihren Neffen. Sie dachte so manches Mal an den ersten Schock zurück und den, wie sie immer sagte, bewegenden Moment als Omar den Kleinen in sein Herz geschlossen hatte und Ruhe in das Zelt einkehrte. Sie hatte zwei gesunde Kinder geboren und war dafür dankbar. Sie wusste ihr Vater liebte ihre Töchter aus ganzem Herzen. Murad hatte aber einen ganz besonderen Platz in diesem großen Herzen. Es war für sie in Ordnung – er nahm ihren Töchtern nichts. Sie erinnerte sich an den Vater von früher, der immer gut zu allen gewesen war, der aber erst durch Murad zum Strahlen gebracht wurde.
Ja, so konnte man es nennen. Das Baby mit dem Handicap hatte einen neuen Funken in seinem Opa entzündet und die ganze Familie bereichert. Sie freute sich, dass gleich auch Anbar mit Ihrer Familie kam. Es hatte sich zwar etwas komisch angehört – aber nicht schlimm. Sie warteten alle auf die angekündigte Überraschung. Murad war jetzt 18 Jahre und in den letzten beiden Jahren hatten sie nur über den MyK Kontakt. Murad steckte in den Vorbereitungen für die Olympischen Spiele im nächsten Jahr.
Omar lag im Bett. War das ein Tag gewesen. Als Anbar mit ihrem Mann und Murad angekommen waren, kam die große Begrüßung. Murad war mit Abstand der Längste in der Runde. Selbst seinen Vater überragte er um 10 cm. Hadia und die Kleinen waren nur so auf Murad eingestürmt. Die Kleinen liebten ihren Cousin – er erzählte ihnen am MyK jede Woche eine Geschichte und wenn sie zusammentrafen, dann waren es ein paar Geschichten mehr. Anbar hatte Murad heute gebeten eine wahre Geschichte zu erzählen und diese überraschte alle. Er erzählte folgendermaßen: Es war ein Paar, die hatten einen Sohn, dem fehlte ein Fuß, nach dem ersten Schock hatte der Vater der Frau sein Herz an den kleinen Jungen verschenkt. Der Junge wuchs auf und wurde Läufer. Er war glücklich und zufrieden. Bald sollte er an den Olympischen Spielen teilnehmen. Seine Eltern waren auch eingeladen. Einige Monate vor den Spielen erzählten ihm seine Eltern, dass sie nicht mit zu den Olympischen Spielen kommen konnten. Die Mutter erwartete wieder ein Kind. Und dieses Kind würde kurz vor den Spielen geboren werden. Auf der einen Seite freuten sie sich auf das Kind. Auf der anderen Seite machten sie sich Gedanken, da sie diese erste große Reise ihres Sohnes nicht mitmachen konnten. Da hat der Junge gesagt. Er freut sich auf das Baby und er würde alles mit dem MyK des Opas oder der Oma aufzeichnen lassen. Im Übrigen wüsste er, dass ihn seine Eltern lieb hätten.
Omar hatte bei der Erzählung seine Lieben nacheinander angeschaut. Auch er hatte sich auf die gemeinsame Fahrt mit Tochter und Schwiegersohn gefreut. Aber dass Anbar mit 42 Jahren nochmal Mutter wurde, freute ihn sehr. Die Eltern wünschten sich schon vor Jahren ein Geschwisterchen für Murad. Es hatte nicht geklappt.
Alle freuten sich. Die beiden Mädchen warfen schon mal Namen in den Raum, als sie begriffen, dass sie bald noch einen Cousin oder eine Cousine hätten. Hadia hatte sich angeboten zum Zeitpunkt der Geburt mit ihrem Mann und den Kindern in der Oase zu sein. So könne sie ihrer Schwester beistehen. Die Mädchen jubelten. Die Geburt sollte kurz vor der Abfahrt zu den Olympischen Spielen stattfinden. So hofften alle, dass die ganze Familie das neue Familienmitglied gemeinsam begrüßen würde. Es war ein guter Abend. Zahrah schlief mit einem Lächeln auf den Lippen neben ihm. Ja, er liebte sie wie am ersten Tag – er war so dankbar, dass er mir ihr ein so gutes Leben führen durfte.

Ina – Januar im 10. Jahr

So schnell waren die Jahre vergangen. Ina und Cosima waren auf dem Schiff, die erste Etappe zur Mongolei. Das Spezialschiff fuhr extra für die Besucher und Sportler der Olympischen Spiele. Cosima und Ina wurden von Justin zum Schiff gebracht. Nach der Hochzeit im letzten Jahr freute Justin sich mit seiner Frau auf die gemeinsame Wohnung. Noch wohnten sie bei Justins Eltern. Justin hatte Extrawünsche angemeldet, da er sein Zuhause auch als Gastgeber und Menschenbetreuer nutzen wollte. Irgendwie sei er dann direkter bei den Menschen. Die Vornutzer wollten es nun etwas ruhiger angehen lassen und hatten sich in ihrem alten Zuhause gleich eine kleine Wohnung reserviert. Sie freuten sich schon auf die persönliche Betreuung. Justins Frau war glücklich mit dem Arrangement – schließlich stammte sie aus einer großen Familie und nur zu zweit war ihr ein Haus nach Justins Vorstellungen viel zu groß. Sie selbst arbeitete als Forscherin für Solarmodule.
An Deck gab es viel zu sehen. Cosima wünschte sich mit den Trampolinspringern Kontakt zu bekommen. Das war im Vorfeld so abgestimmt worden und die beiden genossen die anregenden Gespräche. Cosima war früher selbst aktive Trampolinspringerin gewesen und wenn sich die Gelegenheit ein großes Trampolin zu benutzen ergab, freute sich Ina an der Begeisterung und Lebensfreude ihrer Partnerin. Sie selbst bewegte sich gerne, wirklich aktiv hatte sie aber keine Sportart betrieben.
Auf dem Schiff konnte Cosima teilweise mit den Sportlern das Trampolin benutzen. Zur Freude der Sportler zeigte Cosima teilweise auch komische Einlagen. „Ja, wir haben einige Jahre Trampolin-Unterhaltung gemacht. Es war ein guter Ausgleich zur Durchführung der Disziplinen.“

Omar – Februar im 10. Jahr

Es war Murad`Geburtstag. Heute Abend würde er mit seinen Kumpel feiern. Aber jetzt freute er sich auf die Zeit mir seiner Familie. Alle waren da. Seine Tante war mit der Familie seit einer Woche bei den Großeltern. Und er war mit seinen Eltern gestern Abend angekommen. Der Babybauch seiner sah aus als ob er bald platzen würde. Übernächste Woche sollte das Baby auf die Welt kommen. Also konnten sie heute alle zusammen in der Oase feiern. Die Mädchen waren heute Morgen zu ihm ins Zimmer geschlichen und ihn mit einem Geburtstagslied geweckt. Wenn er die Mädchen sah, hoffe er auf eine kleine Schwester. Aber es war auch egal. Hauptsache das Baby war gesund. So wenig der fehlende Fuß sein Leben beeinträchtigte – es gab halt doch Dinge, die er immer wieder beachten musste, damit es auch so blieb.
Sie saßen gemütlich beim Mittagessen. Oma hatte wieder gezaubert, Murads Lieblingsspeisen standen auf dem Tisch. Er war so froh, dass ihn seine Großeltern so liebten. Hadia reichte ihm gerade die eine Schüssel, da zuckte seine Mutter zusammen.
Von einem Moment auf den anderen waren die Frauen und sein Vater verschwunden.
Er saß im Zelt mit seiner kleinen gesunden Schwester im Arm. Die Finger waren so klein und auch die Zehen. Sie war sein liebstes Geburtstagsgeschenk. Seine Mutter lag im Bett und schaute sie beide an. Mama sah glücklich aus. Sein Vater und der Rest der Familie waren hinausgegangen. Seine Mutter brauchte jetzt Ruhe und Murad war ja bei ihr. „Wie wollt ihr sie nennen?“ Seine Mutter lächelte „Für ein Mädchen haben wir an Anwar gedacht.“ „Anwar – Lichtstrahlen. Der Name gefällt mir.“ „Gut, dann bleiben wir dabei. Du kannst es ja nachher den anderen erzählen. Wir wollten nur, dass du den Namen zuerst erfährst.“ Murad strahlte seine Mutter an. Sie war bald eingeschlafen. Er saß noch stundenlang mit seiner kleinen Schwester im Arm neben ihr. Nur zum Stillen gab er die Kleine rüber. Als sich sein MyK meldete sagte er seinen Kumpel ab. Er war jetzt erst mal Bruder. Feiern konnten sie auch später. Er würde seine kleine Schwester nur noch einen Monat sehen und dann wäre er ja auch für mindestens 5 Monate unterwegs. Er vermisste die Kleine schon jetzt. Ja, Lichtstrahlen – die sendete dieses kleine Wesen in sein Herz.

Ramona– Februar im 10. Jahr

Passend vor dem Winter schafften sie es ins Treffpunktlager. Ebenso, wie die anderen Teams auch. Inzwischen war eine große Gemeinschaft entstanden. Die Sprecherteams vor Ort waren auch alle nett und im laufe der Wochen lernten sie immer mehr mongolische Sportler kennen.
Die Zuständigen vor Ort arbeiteten fleißig an den Innenausbauten für die Sportstätten. Ein riesiger Aufwand und am Anfang hatten sich alle gefragt, was nach den Olympischen Spielen mit den neuen Bauten passieren sollte. Inzwischen war klar, nach den Spielen würden hier neue Wohnungen entstehen, rings um die Sportstätten. In manchen Landstrichen sollte die Landschaft wieder aufgeforstet werden. Es war dort immer karger geworden in den letzten Jahrzehnten. Die Menschen freuten sich auf den Umzug.
Ramona lächelte versonnen. „Woran denkst du?“ Sie hatte Nikolaj nicht reinkommen hören. „Weiß du, in den letzten Monaten ist so viel passiert. Ich habe mir nicht vorstellen können, wie viel unterschiedliche Lebensweisen es gibt, die sich doch im Kern ähneln. Die Gemeinschaften funktionieren überall. Ab und zu gibt es Menschen, die etwas andere Vorstellungen haben. Die arbeiten und arbeiten, um etwas, wie sie sagen, Luxus zu genießen.“ Nikolaj nickte „Und dann sind es die Menschen, die viel ertragen müssen. Denke nur an den dicken Mann, den wir in Russland gesehen haben. Ich habe noch nie einen so breiten Menschen in Echt gesehen. Und er war trotz seiner Krankheit glücklich in der Gemeinschaft. Was er sich angestrengt hat, nur um uns von seinen Kartoffeln einige mitzugeben. Er musste auf so viel achten, damit die Krankheit nicht schlimmer würde und er lachte und hatte für alle liebe Worte.“ Ramona machte eine kleine Pause. „Dann kann ich erst jetzt schätzen, was ich an meiner reiselustigen Familie habe. Meine Eltern waren viele Jahre wegen uns Kindern ortsgebunden. Zufrieden waren sie immer, aber jetzt strahlen sie so richtig. Ich finde es wirklich schön. Und es hat mir gut getan die beiden fest in die Arme zu schließen. In drei Monaten sind sie ja auch schon hier.“ „Ich bin froh, dass wir bei dem Wetter nicht mehr auf der Reise sind, sondern uns hier mit den Aufgaben beschäftigen können.“ Nikolaj grinste „Und irgendwie entsteht eine so tolle Gemeinschaft über die Kontinente hinweg. Bei uns im großen Sportraum, in dem die acht Reisemobile der Jahrgangssprecher stehen – wir sind alle so verschieden und doch so ähnlich. In unserem Mobil ist mir erst richtig klar geworden, was einige Dinge bedeuten. Meine Schwester war einige Tage, bevor ich mich auf den Weg machte, 15 Jahre alt geworden. Sie erhielt, wie alle anderen 15jährigen auch, das Schreiben für die Planung der eigenen Zukunft. Die Dinge, wo sie ihre eigenen Stärken und Interessen sieht, in welchem Bereich sie arbeiten möchte und mehr. Du erinnerst dich sicher auch daran?“ Ramona nickte. „Da habe ich die anderen Fragen auch wieder gesehen. Welche Aufgaben möchten Sie nicht übernehmen? Bitte kreuzen Sie diese an, damit Sie nicht in die Auswahlverfahren gelangen.“ Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare. „Diese Fragen waren damals wichtig und dann vergessen. Meine Schwester sagte schon immer, dass sie auf keinen Fall irgendwelche Mentoren-Verantwortungen über die Bezirksgrenze hinaus wolle und kreuzte alle größeren Aufgaben an. Ich habe vor vier Jahren nichts angekreuzt. Es ist einfach spannend, was so im Leben passieren kann und wenn ich für eine Aufgabe ausgesucht werde, dann wird es wohl richtig sein. Weißt du, wie du diese Fragen behandelt hast, Ramona?“ „Klar, ich habe nichts angekreuzt. Meine Eltern haben mir das Reise-Gen vererbt und ich sehe es genau wie du, kommt eine Aufgabe auf mich zu, werde ich diese auch irgendwie bewältigen. Im Übrigen kann ich ja auch noch immer meine Mutter fragen.“ „Ja, so ein Reise-Gen gibt es bei einigen meiner Vorfahren auch. Mein Uropa hatte den Tag des Handelns mit ins Leben gerufen und er wurde einer der ersten 40 Erdmentoren. Er erzählte von den Anfängen, von den Schwierigkeiten mit Menschen, die alles so lassen wollten wie es war, weil sie Angst hatten mit dem Neuen nicht klar zu kommen. Und dann hat er während seiner fünfjährigen Mentorenzeit so viel erlebt. ‚Die Menschen haben erkannt, dass wir selbst für unser Leben zuständig sind. Niemand, wirklich niemand kann dir deine Verantwortung abnehmen. Weder die im Kleinen noch die im Großen. Habe eine Aufgabe und du wirst an ihr wachsen, wenn du diese mit dem Zuspruch deines Herzens erledigst. Fehler passieren, schlimme Fehler passieren nur dann, wenn wir eine Aufgabe übernehmen, gegen die wir uns innerlich wehren.‘“ „Der ist von deinem Opa, den Spruch kenne ich auch. Auf so einen Opa kannst du stolz sein.“ „Mein Uropa – aber ja, ich bin stolz auf ihn. Mit uns Kindern hat er viel gespielt. Er war 95 Jahre als er vor sechs Jahren starb. Aber bis zum Schluss konnten wir heiße Diskussionen mit ihm führen.“ „Ja es gibt unterschiedliche Menschen. Meine Freundin zuhause, die würde auch nur ungern die Gegend verlassen. Sie hat mal die eine oder andere Städtetour mitgemacht. Aber da war ihr das Fahren mit dem Rad wichtiger, als das Wegsein. Mein Bruder ist auch nicht so reisefreudig wie der Rest der Familie. Und meine Oma und Onkel Daniel, auch nicht wirklich. Sie interessieren sich für alles, aber gerne über den MyK und das reicht.“ „Da fällt mir gerade auf, hast du schon mal davon gehört, das ein Erdjahrgangssprecher und ein Erdmentor gleichzeitig aus der gleichen Familie aktiv waren? Wir haben uns ja beim gegenseitigen Sprachenlernen einiges erzählt. Und erzähltest du auch von deiner Mutter. Mir ist nicht bekannt, das es schon mal bei diesen beiden Gruppen familiäre Überschneidungen gab.“ „Nikolaj, darüber habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht. Mama hat sich gefreut, als ich Jahrgangssprecherin wurde, ich freute mich über ihrer Wahl zur Erdmentorin. Aber ob es so etwas gab, nein, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Dann lass uns doch mal nachschauen. Es sind ja immer große Zeiträume und diese Aufgaben gibt es ja erst seit 57 Jahren.“ Nikolaj setzte sich neben Ramona und sie schauten die Chronik der Erdmentoren und der Erdjahrgangssprecher durch. „Das ist mein Uropa.“ Ramona betrachtete das Bild und dann Nikolaj. „Ihr habt die gleiche Nase. Also wirst du auch irgendwann Erdmentor!“ Sie grinste Nikolaj an. „So schnell geht das nicht. Und das ist auch zu ungewöhnlich. Im Übrigen, du hast die Nase auch von deiner Mutter, also wirst du wohl auch Erdmentorin!“ Er stupste nun ihre Nase. „Nein, nicht zwei Generationen hintereinander aus einer Familie, das ist bei fast 9 Milliarden Mensch sehr unwahrscheinlich.“ „Ich habe keinen anderen als dich gefunden, der zur gleichen Zeit mit einem anderen Familienmitglied aktiv in der höchsten Verantwortung war.“ Nikolaj grinste sie an. „Ich auch nicht!“ ‚Au Backe!‘, Ramona musste schlucken. Nikolaj saß neben ihr und ihr Herz fing an wie wild zu schlagen. Aus seinen Augen strahlte der Schalk, und noch etwas anderes. Ihre Hände fingen an zu zittern, als er ihr die Haarsträhne aus dem Gesicht schob. „Ramona“ wie von weit weg hörte sie seine Stimme. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und irgendwie schien alles gut zu sein.
Nach und nach wurden beide ruhiger. Noch immer lag ihr Kopf an seiner Schulter und ihre Hände waren ineinander verschlungen. Wie benebelt hob sie ihren Kopf und sie schauten sich an. „Ich, …“ Nikolajs Stimme stockte. „Ich mag dich so.“ Wieder zögerte er. „Das war mir gar nicht klar. Ich habe mich in dich verliebt.“ Er schaute verstört, als könne er es gar nicht begreifen. Ramona nickte. „Ich auch nicht! Ich habe es auch nicht begriffen. Ich habe mich, glaube ich, auch in dich verliebt.“ Was für ein Gestammel, aber egal, ihm ging es ja auch nicht besser in dieser Situation. Nikolajs Augen strahlten. „Du auch?“ Sie nickte kurz und dann suchten seine Lippen die ihren.
„Da hätten wir die beiden doch nicht zusammen Sprachen lernen lassen sollen!“ Ramona und Nikolaj erwachten aus ihrem Gefühlstaumel. Benito stand grinsend vor den beiden. Christine und Valerija standen hinter ihm. „Entschuldigung.“ Ramona und Nikolaj stammelten vor sich hin.
„Wofür solltet ihr euch entschuldigen? Wir haben das in den letzten Wochen schon kommen sehen. Wenn ihr euch gegenseitig eure Muttersprachen gelehrt habt, da lag das Funkeln in der Luft. Ihr habt nichts mehr mitbekommen. Es war einfach schön anzusehen. Ihr seid ein tolles Paar. Seit wann wisst ihr, dass ihr zusammengehört?“ Die beiden schauten die drei an. „Wieso? Seit vorhin!“ „Seit vorhin???“ wie aus einem Munde kam das von den dreien. Ronnie kam auch gerade herein. „Was ist hier los?“ Benito klärte Ronnie auf. Der grinste: „Da wussten wir es ja schon vor euch. Das ist doch schon mindestens seit zwei Monaten absehbar. Wir dachten, ihr wäret längst ein Paar und wolltet es uns nur noch nicht sagen!“
Ramona und Nikolaj sahen sich an. „Ich habe mich immer wohl gefühlt, wenn wir zusammen gelernt haben oder auch unterwegs waren. An eine Beziehung habe ich überhaupt nicht gedacht.“ Nikolaj stotterte schon fast wieder. ‚War der süß, wenn er so unsicher war.‘ Ramona lächelte ihn an. „Aber jetzt weiß ich, zu wem ich gehöre!“ Ja, das war der normale Nikolaj. Selbstbewusst und einfach nur zum Knutschen.

Bruce – März im 10. Jahr

Bruce schaute auf dem MyK die Bilder seines Geburtstages an. 50 Jahre war er vor einem Monat geworden. Und er hatte mit seiner Familie und der Mannschaft gefeiert. Ein richtig schönes Fest mit viel Gesang und Tanz und noch mehr leckeren Dingen. Inzwischen gab es sechs Crewmitglieder, Jill lebte seit einem Jahr auf dem Schiff und liebte ihre Aufgabe, genau wie ihr Vater. Nic war als Haldenrecycler unterwegs und berichtete immer wieder von den verschiedenen „Schätzen“, die in den Halden schlummerten. Ganz kleine und ganz große Materialien, die wieder für Rohstoffe verwendet werden konnten. Er berichtete aber auch immer wieder von den leergeräumten Bereichen, die sehr schnell von Flora und Fauna zurückerobert wurden. Es gab Haldenbepflanzer, die mit ganz bestimmten Pflanzen die in den Boden gelaufenen Schadstoffe minimierten und einer dieser Haldenbepflanzer war eine junge Frau, in die er sich verliebt hatte. Es war immer toll, wenn er von seiner Arbeit und von seiner Liebe erzählte. Zum Geburtstag war er auch gekommen – er gehörte zu Bruce Leben dazu.
Sie waren alle seit zwei Wochen wieder unterwegs zu der nächsten Müllansammlung im Meer. Dieses Mal würde ihre Reise weiter gehen als zuvor. Denn wenn Sie den Müll bearbeitet und die Rohstoffe zur Recyclinginsel gebracht hatten, würden sie ein Feld bei den Nikobaren anfahren und abarbeiten. Und von Bangladesch ginge es dann mit dem Schienenmobil zur Mongolei. Er war schon gespannt. „Onkel Bruce, träumst du?“ Jill hatte sich angeschlichen. Sie betrachtete den Film vom Geburtstag, der noch immer lief. „Ja, das war klasse bei euch. Und das Beste war, dass Nic und Rebekka auch dabei sein durften.“ „Ja, du vermisst deinen Bruder schon etwas.“ „Klar, und Mama vermisse ich auch manchmal. Nur vorher habe ich immer Papa vermisst und jetzt kann ich die Zeit mit ihm genießen. Nebenher bist du ja auch noch da!“ Sie grinste Bruce an. „Die Arbeit macht einfach Spaß. Es ist interessant, was alles so im Meer rumschwirrt. Als wir letzte Woche diese feinen Teile aus dem Meer gesiebt haben, da dachte ich, ja, was soll das bringen, es wird noch ganz viel im Meer bleiben, bis alles sauber ist. Der Unterschied mit den Bildern, die ihr vor fünf Jahren gefilmt habt zeigt ganz genau, was wir durch unsere Aktion verändern können. Und was aus diesem Müll alles Sinnvolles gemacht werden kann, ist schon phänomenal.“

Omar – März im 10. Jahr

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge hatten sie sich mit ihren Sachen auf den Weg gemacht. Mit den anderen Sportlern und Verantwortlichen fuhren sie gemeinsam im Schienenmobil. Sie hatten es sich bequem gemacht. Omar hatte mit der ganzen Familie noch einige Zeit in der Oase verbracht. Dann waren sie gemeinsam zu Anbar`s Haus gefahren. Anwar, war jetzt vier Wochen und so süß. Omars jüngere Tochter fuhr nächste Woche mit ihrer Familie wieder nach Hause und dann wären ja die anderen Großeltern für Anbar und das Baby da. Die letzten vier Wochen waren einfach nur schön gewesen. Für Murad war es irgendwie schade, dass seine Eltern nicht bei den Spielen dabei sein konnten – aber für seine Schwester war er gerne bereit dieses Abenteuer nur mit den Großeltern gemeinsam zu erleben. Die Kleine hatte Murad heute Morgen so angestrahlt. Da hat ihm sein Opa ganz klar gesagt, er könne jeden Tag mit seiner Familie mit dem MyK kommunizieren. Er wäre jetzt erst mal ein Läufer, der seine Sache gut machen will. Omar hatte aber auch eine Träne im Auge, als sie sich verabschiedeten. Zahrah sowieso.
Omar schaute zu seinem Enkel rüber. Es war ihnen allen drei so schwer gefallen. Aber jetzt wollten sie gemeinsam das Abenteuer Olympische Spiele in der Mongolei erleben.
Gleich würden sie sich das Trainingsabteil anschauen. In ca. vier Wochen würden sie in der Mongolei ankommen. Alles Notwendig war dabei.
Omar erinnerte sich: „Zahrah, erinnerst du dich noch an die Flugzeuge von früher. In den ganz alten Filmen kommen die ja immer mal wieder vor.“ Seine Frau nickte. „Ich habe die auch schon mal in einem alten Film gesehen. Und in einer Dokumentation hat der Sprecher gesagt, dass viele Menschen ganz schnell damit von einem Ort zum nächsten gereist sind. Heute gibt es gegenüber früher nur noch einen Bruchteil an Flugzeugen. Und diese werden nur für ganz wichtige und eilige Reisen genutzt. Er sprach auch von der Schädlichkeit für das Klima. Die heutigen Fluggeräte seien in der Hinsicht neutral für das Klima. Sie fliegen mit umweltfreundlichen Energien. Er sagte auch, der Bedarf sei durch die MyK und die geänderte Lebensweise so stark gesunken.“ Murad hatte sich auf den Inhalt der Dokumentation konzentriert. „Ja Murad, das war damals wirklich anders als heute. Wer heute weit reist, hat dies normalerweise lange geplant und er genießt auch die Zeit des Reisens. Viele Menschen arbeiten einige Monate länger, damit sie so wenig wie möglich in der Reisezeit arbeiten müssen. Obwohl, die meisten Menschen freuen sich während der Reise an ganz verschiedenen Orten zu helfen. Das sind echte Lebenserfahrungen. Ich habe mit verschiedenen Leuten gesprochen, die auch zu den Olympischen Spielen unterwegs sind. Viele fahren zwei oder gar vier Monate und schauen sich die halbe Welt dabei an. Wir hatten ja auch einen früheren Fahrtermin mit mehr Zwischenstopps geplant.“ Omar hielt kurz inne. „Und da kam Anwar dazwischen und ich freue mich so, dass die kürzere Reise völlig egal ist.“ Murad strahlte. „Ich werde bei den Spielen teilnehmen und versuchen einer der schnellsten Läufer zu sein. Davon kann ich meiner Schwester dann später erzählen.“

Ben – März im 10. Jahr

Die letzten Wochen und Monate waren sehr spannend. Fernando hatte sich eingelebt. Señora Terradi war zurück in die Heimat gereist und wollte spätestens zu den Olympischen Spielen zurück sein. Dann wollte sie für immer bleiben. Fernando war ihre Familie.
June war wirklich wieder June geworden. Über Jahre war sie in erster Linie Mutter und Oma gewesen. Zufrieden, jetzt war sie glücklich sie ging singend durchs Haus. Das hörten Carol, Ben und Beatrice immer häufiger.
Bei Ben liefen die letzten Vorbereitungen für die Olympiade. Er hatte in den letzten Monaten fleißig trainiert. Die Fußverletzung war vollständig ausgeheilt und so stand seinem großen Ziel nichts mehr im Weg. Er war jetzt 22 Jahre und mit seinem Leben zufrieden.
Als die konkreten Reisepläne besprochen wurden, freute er sich. Sportler, die eine eigene Familie hatten, konnten gemeinsam mit ihrem Lebenspartner und auch den Kindern anreisen. Er hatte mit Carol erst überlegt, ob es für Beatrice nicht viel zu anstrengend sein würde. Die Kleine hatte eine ganz klare Meinung: „Ich habe eine Mama und einen Papa. Und zu den beiden gehöre ich. Ihr könnt nicht monatelang weg sein.“
Nachdem Ben dann Erkundigungen zur Mongolei eingeholt hatte, entschlossen sie sich für die längere Anreisevariante. Erst mit dem Schienenmobil, dann mit einem Sport-Solarschiff und zum Schluss wieder mit einem Schienenmobil. Sie wollten gemeinsam die Welt erkunden. Auf dem Sport-Solarschiff gab es alle Trainingsmöglichkeiten und viele Sportler reisten gemeinsam. Darunter auch andere Fechter, so war das Training auf jeden Fall gesichert. Der Nationaltrainer nutze die gleiche Fahrgelegenheit. Auch während der Fahrt mit dem Schienenmobil waren Trainingseinheiten geplant. Diese waren aber eher strategischer Art.
Carols Eltern freuten sich für die Kinder und Ben hatte das Gefühl, die beiden würden die Zeit nutzen, viele Dinge zu unternehmen. Dinge, die sie ohne die unfreiwillige Trennung schon vor Jahren unternommen hätten. Fernandos Schwester würde auch einige Zeit zu Besuch kommen.

Omar – April im 10. Jahr

Omar wartete vor der Sportlerbehausung auf Murad. Der wollte unbedingt den MyK mit zum Sportplatz nehmen. Anwar hatte morgens das erste Mal die Spieldecke verlassen und Anbar hatte dies aufgenommen und wollte es nachher schicken.
„Kann ich Ihnen helfen?“ Omar drehte sich um. Das war eine der Jahrgangssprecherinnen, die mit Valerija zusammen gefahren war. „Ich warte nur auf meinen Enkel. Es ist schön wie sehr ihr euch alle um uns kümmert. Valerija hat schon von dir erzählt. Und von den anderen aus eurem Reisemobil auch.“ Ramona nickte, sie erzählte auch gerne von ihrer „Jahrgangssprecherfamilie“. Murad kam aus der Sportlerbehausung. Er lachte über das ganze Gesicht. „Opa schau mal!“ Er hielt seinen MyK direkt vor die Nase. Omar drückte die Hand etwas von sich ab. „Junge, so nah kann ich doch nichts sehen. Oh, sie dreht sich ja schon richtig. Ich bin froh, wenn wir die Kleine wiedersehen.“ Murad nickte zustimmend. Jetzt erst nahm Murad Ramona wahr. „ Schau mal, das ist meine kleine Schwester. Die dreht sich und sie lacht mich immer an.“ Er hielt Ramona seinen MyK vor die Nase. Auch diese drückte die Hand etwas weg, damit sie was sehen konnte. „Ist das ein herziges Baby. Wie heißt deine Schwester?“ „Anwar – das heißt Lichtstrahlen. Sie ist jetzt drei Monate und ich habe sie schon zwei Monate nicht mehr im Arm gehabt.“ „Hast du noch mehr Geschwister?“ „Nein, aber ich habe ja jetzt eine Schwester.“ Wehmütig streichelte er über das Startbild des Videos. „Murad, so ist doch dein Name. Sei nicht traurig. Du kannst hier bei den Olympischen Spielen teilnehmen – das ist doch auch toll und weglaufen wird dir Anwar auch nicht. Welches ist deine Disziplin?“ Murad ließ sich ablenken. Mit einem Lächeln erzählte er Ramona von seinen beiden Läufen im 800 und 1500 Meterlauf.
Gemeinsam gingen die drei zum Sportplatz. Dort trainierten bereits Sportler.
Langsam reiste ein Sportler nach dem anderen an. Einige Mannschaften waren, wie die aus Saudi-Arabien, fast vollständig mit dem Schienenmobil angereist.
Auf dem Weg erzählte Omar von seiner Aufgabe als Koordinator und Ramona freute sich an den beiden. Das Murad nur mit einem Fuß die Rennen neben den gesunden Läufern bestreiten würde, beeindruckte sie.

Ramona – Mai im 10. Jahr

Es wurde Frühling, die Reisemobile standen nun vereinzelt vor den Sportlerbehausungen. Die Jahrgangssprecher trafen sich regelmäßig an den verschiedenen Stellen bei den Stadien.
Ramona und Nikolaj inspizierten Räumlichkeiten für die Sportler. Morgen war der 58. Tag des Handelns. Mit den schon angereisten Sportlern würden sie den Tag begehen. Heute Abend waren noch einige amerikanische Sportler angekündigt. Für diese waren sie erst mal zuständig.
Seit dem die beiden ein Paar waren, hatte sich viel geändert. Die Eltern erkundigten sich inzwischen nicht nur nach dem eigenen Kind. Nach dem ersten Begreifen, dass seine kleine Schwester schon so erwachsen ist, sprach auch Hendrik regelmäßig mit Nikolaj. Und er konnte kaum abwarten Ramonas Freund persönlich kennenzulernen. Ramonas Eltern sollten in ca. 4 Wochen anreisen, so zwei Wochen vor Beginn der Spiele. Die waren auch schon gespannt.
Nikolajs Schwester verlangte, dass Ramona auf jeden Fall mindestens eine Woche bei ihnen auf der Rückreise bleiben müsste, schließlich wolle sie Nikolajs Freundin persönlicher kennenlernen. Die andern vom Reisemobil würden dann sicherlich auch ein gutes Plätzchen in der Gemeinschaft finden. Valerija war drauf und dran solange bei ihrem Team zu bleiben und sich dann erst auf den Rückweg zu machen. Natürlich mit einem Zwischenstopp mit ihren neuen Freunden in Valerijas Heimatgemeinschaft.
Auch keiner der anderen Teams wunderte sich. Alle hatten gesehen, dass Nikolaj und Ramona zueinander gehörten. Für die beiden war es eine schöne und unbeschwerte Zeit des Kennenlernens gewesen. Sie hatten nichts verpasst.
„Du, das sind schon Sportler früher angekommen!“ Nikolaj zeigte auf das Mobil vor dem Haus. Sie gingen den Sportlern entgegen. Da war sogar ein Kind von sechs oder sieben Jahre dabei. „Herzlich willkommen bei den Olympischen Spielen. Wir sind Nikolaj und Ramona! Wenn ihr Fragen habt oder euch einfach mal unterhalten wollt, wir sind für euch da.“ Ramona begrüßte den Sportler auf Englisch. „Da fühlt man sich doch gleich wohl. Ich bin Ben und dies ist meine Lebenspartnerin Carol und unsere Tochter Beatrice.“ Die Kleine wurde richtig groß, als ihr Vater sie vorstellte. Sie begrüßte Ramona und Nikolaj mit einem freundlichen Hallo. Auch Carol wurde begrüßt. Gemeinsam gingen sie zum Familientrakt.
Für Ben stand eine kleine Wohnung bereit. Schlafzimmer, Kinderzimmer, Wohnesszimmer mit einer kleinen Küche sowie ein Bad. In den nächsten Wochen konnte er dort mit seiner Familie dieses kleine Zuhause nutzen.
Nikolaj gab Ben und Carol noch die MyK-Nummern und dann ließen sie Ben und seine Familie erst mal in Ruhe ankommen.

Ben – Mai im 10. Jahr

„Das war aber ein nettes Pärchen!“ Carol schaute Ramona und Nikolaj nach, als sie das Haus verließen. „Ob die Ramona mit mir wirklich überall hingeht und mir alles zeigt?“ Beatrice wackelte von einem Bein auf das andere vor Aufregung. „Aber klar, sonst hätte sie es sicher nicht versprochen.“ Ben beugte sich zu Beatrice hinunter. Und wie gefällt es dir hier. „Viel besser, als unterwegs. Ich habe hier einen eigenen Schrank und da kann ich alle meine Sachen reinpacken. Habt ihr gesehen, auf meinem Bett steht sogar ein Bär und den darf ich behalten hat der Nikolaj gesagt.“ Und schon war sie in Richtung Kinderzimmer verschwunden. Ben und Carol inspizierten die Küche. Alles Wichtige war da und für heute Abend war in der Gemeinschaftsküche für alle Anwesenden gedeckt. Es würde sicherlich spät, aber der Tag des Handelns war einfach der Feiertag schlechthin. Beatrice könnte in ihrem Zimmer schlafen oder unten in einem Raum bei der Gemeinschaftsküche mit anderen Kindern spielen. Ramona hatte etwas von mindestens zehn bereits angereisten Sportlerkindern gesagt.

Ramona– Mai im 10. Jahr

Ramona wurde nur langsam wach. Sie hatten einen schönen Tag des Handelns erlebt mit vielen Informationen zu den traditionsreichen Feiervarianten verschiedenen Gemeinschaften. Über 500 Menschen waren bereits im Olympischen Dorf. Die 40 Jahrgangssprecher hatten inzwischen wirkliche Aufgaben. Sie waren alle gut darauf vorbereitet. Der Mentor, der die Jahrgangssprecher koordinierte betonte, wie wichtig ihre Aufgabe sei. So völkerverbindend und auch so friedenstiftend. Als Botschafter für den olympischen Gedanken würden sie Menschen aus ganz unterschiedlichen Lebenskreisen berichten.
Es war ein gutes Gefühl, als Nikolaj von seinem Urgroßvater erzählte, der ja die Anfänge einer neuen weltweiten Zeitrechnung mit angeschoben hatte. Er konnte sich auf einmal wieder an ganz viele Kleinigkeiten erinnern. Dinge, die zwar in den Geschichtsbüchern standen, aber vom Enkel eines Zeitzeugens war es viel greifbarer.

Ben – Mai im 10. Jahr

Ben und Carol saßen im Schatten. Beatrice war mit Ramona unterwegs. Steve, ein Diskuswerfer aus Australien und Dave, ein Läufer aus England, die zwei Tage nach dem Tag des Handelns beim Stadion angekommen waren, hatten sich zu ihnen gesetzt. „Es war richtig interessant, als Nicolaj die Erlebnisse seines Uropas erzählte.“ Carol nickte. „Mir war gar nicht klar, wie schwierig es für einige Menschen ist, sich über die eigenen Wünsche klar zu werden.“ Ben machte eine kurze Pause. „ Stellt euch mal vor, wir sollten – aus welchem Grund auch immer – einfach anders leben.
Obwohl, unsere Lebenssituation lässt sich mit der damaligen Zeit nicht wirklich vergleichen!“ Er atmete einmal tief durch. „Die Menschen lebten in jedem Land unter ganz unterschiedlichen Strukturbedingungen. Wie Nicolaj erzählte, gab es Länder, in denen Kinder vor Hunger starben und andere Länder, in denen Lebensmittel in den Müll gegeben wurden. Und dann wurde eines Tages gehandelt und überall auf der Erde galten die gleichen Grundsätze. Über Jahre hatten immer mehr Menschen an diesen Grundsätzen gearbeitet und die vier Grundsätze, die heute jedes Kind weiß, wurden das erste Mal wirklich weltweit eingefordert.“ „Klar. Der erste Grundsatz lautet: Jeder Mensch ist wertvoll, ebenso alles andere Leben auf dieser Erde.“ Dave grinste. „Und der zweite Grundsatz lautet: Ich kenne meine Grenzen und Bedürfnisse und ich achte die Grenzen und Bedürfnisse des Anderen.“ Steve lehnte sich zufrieden zurück. „Der dritte Grundsatz ist mein Lieblingsgrundsatz: Überall ist es möglich durch den eigenen Einsatz ein gutes Leben zu führen.“ „Mir gefällt der vierte Grundsatz am besten: Die Erde ist unsere Heimat. Wir sind gemeinsam dafür verantwortlich, dass diese für möglichst viele Generationen von Menschen, Tieren, Pflanzen und allen anderen Lebewesen eine Heimat bleiben wird.“ Dave nickte bekräftigend. Ben lächelte „Das ist heute selbstverständlich. Nicolaj erzählte, dass die Menschen erst mal den eigenen Wert wieder kennenlernen mussten. Jahrelang hatte der Urgroßvater und all die anderen Aktiven vieles vorbereitet. Überall gab es schon gemeinsam bewirtschaftete Felder und Gärten. Es gab Geräte, mit denen gut gearbeitet werden konnte, ohne dass Energie gebraucht wurde oder wenn, dann nur ganz wenig. Dort waren damals die ersten Gemeinschaften entstanden, in denen autark gelebt wurde.“ „Und das Spannende dabei war,“ Carol nutze Bens Pause „die Menschen gingen nach dem Tag des Handelns nacheinander in diese Gemeinschaften, um zu erfahren, wie sie auf der einen Seite selbst Lebensmittel erzeugen konnten und auf der anderen Seite, damit sie sich über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche Klarheit verschaffen konnten.“ „Stellt euch vor, viele wussten nicht wie Nahrung zubereitet wird. Sie wussten oft auch nicht, was ihnen wirklich wichtig war.“ Ben hielt einen Moment inne. „Sie maßen ihren Wert an dem, was sie besaßen. War es weg, waren sie nichts mehr wert.“ Dave und Steve hörten genau zu. „Aber das war doch kein Leben. Ich kann überall helfen und dann habe ich auch genug zu essen. So genau hatte ich auch noch nie darüber nachgedacht. Ich bin auf jeden Fall froh, dass es Menschen wie Nicolajs Uropa gegeben hat. Stellt euch vor, wir müssten so wie vor dem ersten Tag des Handelns leben!“ Carol schaute Ben, Steve und Dave an. Diese nickten nachdenklich.

Ina – Mai im 10. Jahr

Die Sportler warem mit den Schienenmobil auf den Weg zu den Spielstätten. Die Besucher der Olympischen Spiele hatten die Möglichkeit auf einem Umweg chinesischen Gemeinschaften zu besuchen. Überall auf den Routen waren vermehrt Lebensmittel angebaut worden. Die Mehrarbeit der Ernte wurde von den Reisenden gerne übernommen. Sie konnten die Lebensweise direkt vor Ort kennenlernen und es entstanden viele neue Kontakte. Cosima lernte ein chinesisches Pärchen mit einem kleinen Mädchen kennen. Die Drei waren so herzallerliebst. Die Kleine himmelte Cosima einfach nur an. Sie war im Alter des kleinen Justins. So um die fünf Jahre. Sie blieben drei Wochen in der Gemeinschaft – die anderen Besucher reisten schon weiter. Sie hatten direkt bei dem Pärchen eine Unterkunft und so zog Cosima mit den chinesischen Kindern und einem Ortskundigen durch die Natur. Ina genoss die Arbeiten in der Gemeinschaftsküche. Es tat nach der langen Reise gut, mit festem Boden unter den Füßen zu helfen und nebenher lernte sie die heimische Küche der Gegend kennen.
Als die Beiden weiterreisen wollten – schließlich wollten sie ja pünktlich an den Spielstätten sein – begleitete sie das Pärchen bis an die Grenze der Mongolei, die Heimat des Mannes. Seiner späteren Frau begegnete er auf seiner Suche nach dem richtigen Beruf an einem Treffpunkt. Als der Begriff Treffpunkt fiel, erinnerten sich Ina und Cosima sofort die Tagebücher von Lucia – auch wenn die Treffpunkte heute ganz andere Aufgaben hatten. Sie erzählten von den Anfängen, so wie sie Lucia beschrieben hatte. Die meisten Seiten hatte Ina auch auf ihrem MyK. Genauso wie in ihrer Gemeinschaft hörten die Mitreisenden – nicht nur das Pärchen – den Geschichten von den Anfängen der Gesellschaftsform, gespannt zu. Man merkte, dass lebendige Geschichte durch den direkten Bezug mehr Aufmerksamkeit auf sich zog. Beim Abschied bedankten sich alle, dass sie die Anfänge so plastisch dargestellt hören durften. Ina wurde sich bewusst, dass die globale Vernetzung funktionierte, durch die eigenen Interessen vor Ort wurden viele Dinge nicht ins Leben gelassen, auch um Energien sinnvoll zu nutzen.

Keiko – Juni im 10. Jahr

Der Abschied war Keiko schwer gefallen, die Kinder wollten sie nicht gehen lassen für so lange Zeit. Mit ihren zehn Jahren konnte Daiki die Bedeutung am besten erfassen. Sie freute sich für ihre Mutter. Natsuki war inzwischen sieben Jahre. Irgendwie war es O.K für ihn. Besonders da der Papa die ganze Zeit für ihn zuständig war. „Wir machen hier eine Männerwirtschaft.“ war seine Parole. Manabu mit seinen vier Jahren, gefiel nicht, dass seine Mama länger wegfuhr. Er wollte auf jeden Fall die Mama jeden Tag sehen. Keiko versprach ihm jeden Abend sein Schlaflied vorzusingen. Manchmal etwas früher wie gewohnt. Aber jeden Tag würde er sein Lied von ihr hören. Bei Sayuri’s Kindern galten ähnliche Versprechungen.
Nach der Überfahrt ging es mit dem Schienenmobil weiter. Einige der anderen Besucher kannten sie schon von den Olympiade-MyK-Chats. Schnell bildeten sich verschiedene Gruppen. Sogar einige Sportler waren im Schienenmobil. Die beiden Frauen genossen die Zeit. Keikos und Sayuris Traum einmal bei den Olympischen Spielen dabei zu sein hatte sich erfüllte.
„Es ist schon eine großartige Leistung, die Olympischen Spiele ins Land zu holen. Ich weiß gar nicht, wie die Mongolei die Menschenmassen verpflegen will?“ Sayuri schaute nachdenklich. „Was bekommen wir zu essen und trinken. Wo bekommen wir alles Nötige?“ Keiko lächelte. „Diese Fragen hatte ich auch und dann habe ich mich erkundigt. Wir befördern alleine zwei Container am Schienenmobil. In diesem sind all die Dinge, die eine Gruppe wie unsere benötigt. Alles wurde vorher zusammengestellt. Die Organisatoren für Großveranstaltungen denken an alles. Ob haltbare Lebensmittel oder auch Obst und Gemüse. Ein Land wie die Mongolei könnte die Menschen gar nicht versorgen. In allen Ländern gibt es Versorgungscontainer. Je größer eine Veranstaltung, desto mehr Container werden zusammengestellt. Egal ob Teller und Tassen, Schüsseln und Besteck. Bei der Olympiade bringen alle Schienenmobile mindestens einen Logistikcontainer mit. Wir haben im Container frische Lebensmittel und Getränke. Bei den früheren Fahrten wurden haltbare Lebensmittel und beispielsweise Verbrauchsmaterial gebracht.“ Nicht nur Sayuri war überrascht. Mehrere Mitfahrer waren Keikos Ausführungen gefolgt. Nur wenige Menschen hatten sich Gedanken darüber gemacht, wieso auch. Sie waren nicht dafür zuständig und wenn sie hätten helfen können, dann wären sie gefragt worden. Die große Organisation auf der Erde funktionierte. Das Wie, war für die Menschen zweitrangig. „Ich heiße Susumo und bin inzwischen 85 Jahre. Früher lagen all diese organisatorischen Dinge in den Händen der einzelnen Gemeinschaften, Länder, Staaten. Es war genug da, nur dort wo es gebraucht wurde, da konnte keiner darauf zurückgreifen.“ Der alte Mann machte eine Pause. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. „Nach dem Tag des Handelns gab es nur noch die eine Erde für die wir gemeinsam zuständig waren. Die Meisten von euch können es sich gar nicht vorstellen. Früher verhungerten Menschen und Tiere und andere haben Lebensmittel in den Müll geworfen. Die ersten Mentoren und die Entwickler unserer Gemeinschaftsstruktur haben sich sehr viele Gedanken gemacht. Stückchen für Stückchen wurde die Struktur entwickelt. Unsere heutigen Mentoren sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Sie sorgen, vom Gemeinschafts– bis zum Erdenmentor, dafür dass wir alle ein gutes Leben haben. Sie schauen wo etwas verkehrt läuft. Sie wissen, wenn Menschen die eigenen Vorteile vor die Bedürfnisse der Gemeinschaft stellen. Sie schlichten und vermitteln, wenn Menschen die Grenzen überschreiten. Mit ganz vielen Helfern.“ Susumo schaute in die Runde. „Ich habe einiges mitbekommen. Meine Schwester war vor gut 20 Jahren Bereichsmentorin. Sie hatte eine tolle Zeit, das hat sie immer wieder betont. Sie sagte: ‚Wenn es die Mentoren nicht gäbe, würde es nicht funktionieren. Du weißt gar nicht, wie viele Menschen aus Angst vor dem Hungertot auch heute noch Lebensmittel horten. Menschen, die in früheren Zeiten am Rande der Gesellschaft lebten – teilweise in Sichtweite von Luxus und Verschwendung. Sie konnten sich früher nur aus dem Müll der Reichen ernähren. Die Generation mit diesen Erfahrungen wird kleiner und die heutigen jungen Leute kennen diese Sorgen nicht. Es sitzt in diesen älteren Menschen aber ganz tief drin. Wir erinnern uns noch an viele Situationen oder auch an Berichte früher aus dem Fernseher.‘ Und wir haben uns häufig über dieses so andere Leben unterhalten. In den Gesprächen gab es ganz häufig Punkte, an die ich schon ewig nicht mehr gedacht habe. Überall auf der Welt läuft es jetzt gut. Die heutigen Nachrichten sind wirkliche Nachrichten. Als die Erde vor einigen Jahren bei uns bebte, wurde uns ganz schnell geholfen. Alle haben ihren Teil beigetragen. Früher gab es nicht nur Naturkatastrophen. Es wurden Kriege geführt, um Reichtümer zu gewinnen. Öl, Gold, und andere Rohstoffe haben für uns heute keinen persönlichen Wert mehr. Es wird nur das genutzt, was schon vorhanden ist– ohne die Umwelt zu zerstören. Technik- vom Rasenmäher über die Musikanlage, bis hin zum MyK, stehen heute allen zur Verfügung. Früher war es nicht selbstverständlich, dass man die Dinge, die wir heute selbstverständlich nutzen wenn wir sie benötigen, auch nutzen konnten. Heute werden die Dinge wirklich genutzt und liegen nicht die meiste Zeit im Schrank rum. Wofür benötige ich eine Bohrmaschine? Jede Gemeinschaft hat genug und wenn ich mal einige Löcher brauche, dann leihe ich mir eine oder ich lasse mir die Löcher bohren oder auch andere Arbeiten verrichten. Von Menschen, die die Geräte gut und mit Freude bedienen.“
Die Stunden im Schienenmobil vergingen wie im Flug. Alle im Abteil hatten viel erfahren. Keiko freute sich wieder einen Menschen mit Erinnerungen getroffen zu haben. In ihrem Bekanntenkreis waren andere Erfahrungen gemacht worden. Die Menschen lebten in den Gemeinschaften und hatten Kontakt zu den Nachbargemeinschaften. Von den großen Zusammenhängen hatten die wenigsten Menschen Ahnung.

Keiko – Juli im 10. Jahr

In der Mongolei wurden sie herzlich empfangen. Keiko und Sayuri hielten täglich Kontakt mit ihren Familien. Einigen japanischen Olympiateilnehmern hatten sie schon im Schienenmobil getroffen. Der Kontakt hatte sich ausgeweitet. Und je nach Möglichkeit trafen sich die Besucher aus Japan mit ganz unterschiedlichen Gruppen.
Bei ihrer Ankunft waren sie von Jahrgangssprechern empfangen worden. Ein Benito war mit seiner Jahrgangssprechergruppe auch zu ihnen gekommen. Mit einem Konnichiwa wurden sie begrüßt. Nachher trafen die beiden Frauen Ramona. Es war schon toll, was diese jungen Menschen in den letzten Monaten erlebt hatten. Und die Sprachbegeisterung war bei allen Jahrgangssprechern sehr ausgeprägt. Keiko uns Sayuri tauchten in eine ganz andere Welt ein. Olympische Spiele zu besuchen war ein riesengroßes Abenteuer.

Ina – Juli im 10. Jahr

Nun waren sie schon drei Tage an den Unterkünften. Beim Besuch der argentinischen Trampolinspringer begleitete sie eine Ramona. Ein wirklich nettes Mädel, das jetzt da oben stand und mit Begeisterung gemeinsam mit den anderen Jahrgangssprechern den Eröffnungsspruch in ganz vielen Sprachen verkündete. Diese jungen Jahrgangssprecher, die so viele Menschen betreuten und nicht nur den Sportlern ein Stück Zuhause gaben, erwärmten die Herzen aller.

 

Lasset die Spiele beginnen – Juli im 10. Jahr

Mögen die Spiele beginnen
Ramona stand mit den andern Jahrgangssprechern in der ersten Reihe. Ein Sprecher nach dem andern wiederholte den Satz in seiner Muttersprache. Jeder Einzelne wiederholte den Satz mit all denen, die diese Sprache kannten. Überall auf der Welt standen die Menschen an den MyKs oder auch an den Übertragungsorten. Überall herrschte Freude. Und es sollte die nächsten drei Wochen auch so bleiben.
Ramona lächelte ihren Eltern zu, sie schaute zu den Sportlern und erkannte Ben. Im Bereich für besondere Gäste standen auch Bruce und Omar und rechts im Stadion erkannte sie Ina und Cosima, sowie Keiko mit ihrer Schwägerin.
Ja, seid ihrer Ernennung zur Jahrgangssprecherin hatte Ramona viel erlebt. Sie blinzelte Nicolaj an ihrer Seite zu.
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Nachspann:

Ja, die Spiele mögen beginnen. Und es wird faire Wettkämpfe geben. Die Sieger der einzelnen Disziplinen werden sich über ihre Erfolge freuen. Jeder der mit aller Energie in den sportlichen Wettkampf gegangen ist, wird viele gute Erinnerungen mitnehmen.
Ich danke vielen Menschen, die mir die Freiheit gaben, dieses Buch zu schreiben.
Menschen, die dafür gesorgt haben, dass alle Personen richtig dargestellt wurden. Die merkten, wenn es Ungereimtheiten bei den Figuren gab. Die textliche Schwächen und Optimierungsmöglichkeiten aufgezeigt haben.
Und natürlich haben diese Personen Fehler gesehen, die beim Schreiben einfach untergegangen sind. Ihr wisst wen ich hier meine. Ich danke euch allen für die Unterstützung.
Yessi Anyone – Ja Jedermann, der nach dem Tag des Handelns lebt, könnte diesen Roman schreiben.
Noch ist der Tag des Handelns in der Zukunft. Ich freue mich, wenn dieser bald in irgendeiner Form unser Leben verändert.
Eure Yessi Anyone
http://yessi-anyone.net/
Facebook.com/YessiAnyone
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Grundsätze des Zusammenlebens

1. Jeder Mensch ist wertvoll, ebenso alles andere Leben auf dieser Erde.
2. Ich kenne meine Grenzen und Bedürfnisse und ich achte die Grenzen und Bedürfnisse des Anderen.
3. Überall ist es möglich durch den eigenen Einsatz ein gutes Leben zu führen.
4. Die Erde ist unsere Heimat, wir sind gemeinsam dafür verantwortlich, dass diese noch für viele Generationen von Menschen, Tieren, Pflanzen und allen anderen Lebewesen eine Heimat bleiben wird.

Begriffe und Zusammenhänge

(B/A) = Beruf/Aufgabe
Abgabestationen: Wiederverwertbarer Behälter die Verbrauchsstoffe dosieren.
Anleitung: Wer sich für einen beruflichen Weg entschieden hat, wird von Wissensvermittlern begleitet, bis ein selbstständiges bewältigen der Aufgaben möglich ist. Die Zeit der Anleitung ist je nach Umfang der Aufgaben individuell.
Einholen: Benötigte Dinge und auch einige Genuss-Produkte, die in der Gemeinschaft nicht selbst gezogen oder erstellt werden können, werden zu abgesprochenen Terminen zentral abgeholt.
Ernährungsexperte: (B/A) Menschen, die Wissen rund um die Ernährung weitergeben oder auch Mahlzeiten für die Gemeinschaft zubereiten.
Gastgeber: (B/A) Menschen, die Besuchern oder auch Menschen aus der Gemeinschaft vorübergehend Unterkunft und Gemeinschaft geben.
Gemeinschaft: Menschen, die in einem Bereich leben sorgen gemeinsam für die Versorgung der Gemeinschaft auf allen Gebieten. Jeder leistet seinen Beitrag. Gemeinschaften sind offen für alle.
Gemeinschaftsküche: Jede Gemeinschaft hat einen gemeinsamen Aufenthaltsbereich. Hier ist auch die Gemeinschaftsküche, in der für alle gemeinsam täglich für Mahlzeiten gesorgt wird. Menschen, die mit Freude Speisen zubereiten sprechen sich untereinander ab, so dass die Küche zu den Mahlzeiten immer besetzt ist. Wer mag kann das Essen auch mitnehmen.
Gesundheitsberater: (B/A) Menschen, die sich mit verschiedenen Facetten der Gesunderhaltung und der Heilung beschäftigen.
Gesundheitshaus: Wenn es körperliche (ganzheitlich) Probleme gibt, oder um ebendiese zu vermeiden ist das Gesundheitshaus die richtige Anlaufstelle.
Haldenbepflanzer: (B/A) Menschen, die abgeräumten Halden mit aufbauenden Pflanzen bestücken.
Heilungszelt/-haus: Ruheort der Erholung - unter Beobachtung bei gesundheitlichen Störungen
Informationskanäle: Öffentliche Informationen zu verschiedenen Themen.
Jahrgangssprecher: (B/A) Sprachbegeisterte Jugendliche die im Auftrag der Völkerverständigung unterwegs sind.
Kennlernprogramm für Interessen: Jedes 10jährige Kind ist verpflichtet in die verschiedenen Möglichkeiten der Interessensgebiete hinein zu schnuppern.
Menschenbetreuer: (B/A) Sie begleiten Menschen in den verschiedenen Lebenslagen.
Mentoren: (B/A) Menschen, die sich für fünf Jahre um ihren Bereich kümmern. Mentoren werden per Losverfahren gezogen. Für die großen Bereiche sind nur Menschen in der Lostrommel, die auch bereit sind Aufgaben im weltweiten Bereich zu übernehmen.
MyK: (My Kommunikator) ein Gerät zur Kommunikation –Zum Telefonieren, Lesen, Daten speichern, Filme schauen, Internet und vielem mehr. Ein MyK wird mit durch Solar- und Kurbeltechnik erzeugte Energie betrieben und ist äußerst sparsam. Jeder Mensch hat seinen persönlichen MyK, wenn er möchte.
Bereiche: 1. Allgemein (öffentliche Informationen, Filme, Musik, Nachrichten, regionale Hinweise und Benachrichtigungen, …)
2. Privat (Daten für eine selbstbestimmte Gruppe, Familie, Freunde, …)
3. Sicherheit (Freischaltung für die Ortung durch vorher bestimmte Personen; Daten, die nach dem Ableben für ganz bestimmte Menschen zugänglich gemacht werden, …)
4. Persönlich (Daten, die nur vom Besitzer selbst geöffnet werden können. Nach dem Ableben werden diese Daten automatisch vernichtet.)
Naturrettunsdienst: (B/A) Organisierte Menschen, die bei Naturkatastrophen für schnelle Hilfe sorgen, auch durch ein weltweites Netz von erfahrenen Naturbeobachtern und Schützern.
Prinzip „Entscheidung sofort“: Wenn eine Entscheidung sofort fallen kann, ohne die Rechte und Interessen anderer Menschen zu verletzten, dann sollte sofort entschieden werden. Das spart Zeit und Energie.
Qualitätsfachmann: (B/A) Neue Ideen werden hinterfragt, ob sie mit den vier Grundsätzen des Zusammenlebens vereinbar sind.
Recycler: (B/A) Meer, Halden, … - Alle von Menschen erzeugten Umweltbelastungen werden mit der Zeit minimiert und die Rohstoffe werden sinnvoll wiederverwendet. Recycler sammeln diese Rohstoffe.
Schützer: (B/A) Menschen, die in Gefahrensituationen zwischen Menschen schützen und auch dafür sorgen, dass Menschen, von denen Gefahr ausgeht gefunden werden und entsprechend des Gefahrenpotentials neue Wege aufgezeigt bekommen.
Tag des Handelns: Gedenktag auf der ganzen Erde an den Tag, als genug Menschen offen für die Veränderungen waren und einige Menschen diesen Tag als Wendemarke genutzt haben, um die von den meisten Menschen vorbereiteten neuen Lebensstrukturen in die Tat umzusetzen.
Trinkquelle: öffentlicher Ort mit Trinkwasser
Wissensvermittler: (B/A) Menschen, die ihr Wissen an andere Menschen weitergeben und so aufbereiten, dass dieses Wissen mit Freude aufgenommen wird.

 

 

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